19.10.2010 / Schwerpunkt / Seite 3

Repression und Panikmache

Die Kampagne »Castor? Schottern!« sieht in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen die Unterzeichner der gleichnamigen Absichtserklärung einen »politisch motivierten Einschüchterungsversuch«, der allerdings »ins Leere laufen wird«. Kampagnensprecher Tadzio Müller: »Die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft ist abenteuerlich: Weder handelt es sich bei dem Schottern um ›Störung öffentlicher Betriebe‹, da ja gar kein regulärer Bahnbetrieb auf dem Castor-Gleis stattfindet, noch ist die Ankündigung einer Aktion des zivilen Ungehorsams strafbar.« Sonja Schubert, ebenfalls Sprecherin von »Castor? Schottern!«, ergänzt: »Die Absurdität des Vorgehens der Staatsanwaltschaft zeigt sich schon in der Zahl der Verfahren: Sie ermittelt gegen 389 Einzelpersonen und 179 Gruppen– das sind dann noch einmal mehrere tausend Menschen. Will die Staatsanwaltschaft, wenn die Aktionen im Wendland stattfinden, tatsächlich alle diese – und noch mehr – Menschen vor Gericht bringen?«

Die Unterstützung für das geplante Castor-Schottern wächst laut Mischa Aschmoneit »täglich und stündlich«. »Der aktuelle Versuch der Einschüchterung und Spaltung wird der Kampagne – so wie es schon vor Heiligendamm und Dresden war – zusätzlichen Schwung verleihen. Bei ganz vielen Menschen gibt es die Haltung: Jetzt erst recht.«

Die Neue Westfälische in Bielefeld fragte in ihrer Montagausgabe: »Schürt das Bundeskriminalamt (BKA) bewußt Ängste, wenn es vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft unter Atomkraftgegnern warnt? Werden friedliche Menschen, die gewaltfrei gegen den nächsten Castortransport demonstrieren wollen, im Vorfeld kriminalisiert, um ein hartes Eingreifen der Einsatzkräfte von vorneherein zu legitimieren?« Weiter hieß es im Kommentar: »Das BKA setzt Protest mit Gewalt gleich, aber wenn man sich die Bilder der ›Stuttgart21‹-Demonstrationen in Erinnerung ruft, muß man sich eher Sorgen um die andere Seite machen: Während die Polizeibeamten mit Helmen und Körperschutz ausgestattet sind, gilt für die Protestler das Vermummungsverbot. Waren es früher die Schlagstöcke, vor denen sich die Menschen fürchten mußten, sind es heute Hightech-Wasserwerfer, deren neue Generation mit 10 bar bis zu 3300 Liter pro Minute verschießen werden. Wie brutal diese Distanzwaffe schon jetzt ist, zeigen die Verletzungen, mit denen mehrere Demonstranten in die Stuttgarter Augenklinik eingeliefert wurden: nach innen gedrückte Linsen, zerrissene Lider, zerfetzte Netzhäute, gebrochene Augenknochen. Deeskalation sieht anders aus.«

(jW/dapd)
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