09.10.2010 / Aktion / Seite 16
Warum wir feiern
Die Geschichte der jungen Welt ist schnell erzählt, aber nicht unkompliziert
Dietmar Koschmieder
Es war der legendäre Demo-Christian, Berliner Streetfighter
der ersten Stunde, der sich bei uns in diesen Tagen beschwerte:
»Mal feiert ihr 50 oder 60 Jahre junge Welt, dann aber
10 oder 15 Jahre Verlag 8. Mai und LPG junge Welt eG. Was
zählt denn nu?« Die Geschichte ist schnell erzählt,
aber nicht unkompliziert: Die junge Welt war
auflagenstärkste Tageszeitung der DDR, erschien erstmals 1947,
also vor 63 Jahren. Seit Anfang der 50er Jahre kommt sie in einer
GmbH heraus, die Privatpersonen, also keiner Partei oder
Organisation, gehört. Trotzdem wurde der Verlag mit der Wende
zerschlagen, abgewickelt, das Eigentum verscherbelt, Erlöse
dem sogenannten Parteienvermögen zugeordnet. Das umfangreiche
Bildarchiv verschwand im Bundesarchiv oder tauchte später auf
Flohmärkten auf. Geschäftsführer des Verlages war
damals auch Dietmar Bartsch. Die Tageszeitung junge Welt
wurde aus dem Verlag ausgegliedert und für eine Mark an einen
Westberliner verschenkt, dem auch andere Medien in die Hände
fielen. Manche sahen in ihm schon den neuen Willi Münzenberg,
jenen legendären Presseorganisator der KPD aus den 20er
Jahren. Allerdings dachte der neue Münzenberg wohl eher an den
großen Berg Münzen, in den er seine investierte Mark zu
verwandeln gedachte. Angeblich reiste er regelmäßig in
die Schweiz, um Bargeld zu deponieren, angeblich versenkte er eine
Million in der Karibik – weil eine teuer erstandene Yacht
nicht versichert und deshalb die Investition nach dem ersten
Wirbelsturm perdú war. Gerüchte aus der Belegschaft
seiner Medien. Belegt ist allerdings, das eben jener Herr die
junge Welt herunterwirtschaftete oder herunterwirtschaften
ließ. Regelmäßig wechselten die Eigentümer
der jungen Welt, die Vorgängerfirma meldete Konkurs an,
der dann mangels Masse erst gar nicht zustandekam. Mitarbeitende
kündigten sich selbst, wurden von neuen Firmen
übernommen, ein kaum durchschaubares Geflecht an Firmen
entstand, die sich marktunüblich hohe Kosten in Rechnung
stellten. Die Zeitung verlor über die Jahre rasant an Auflage
und wurde 1995 schließlich ganz eingestellt. Verlags- und
Redaktionsmitarbeiter erfuhren dies morgens auf dem Weg zur
Arbeit – über das Radio.
Teile der Belegschaft hatte zuvor gegen diesen Kurs mobilgemacht.
Einige wenige wagten den wahnwitzigen Schritt, innerhalb weniger
Tage nach dem verkündeten Ende der jungen Welt den
Verlag 8.Mai zu gründen, die Titel- und Aborechte zu kaufen
und die junge Welt weiter herauszugeben. Ein so
kostenintensives Projekt kann aber auf Dauer nicht ohne finanzielle
Unterstützung auskommen. Niemand aus der Belegschaft
verfügte über notwendiges Kapital, keine Bank ist bereit,
Kredite ohne Sicherheiten zur Verfügung zu stellen. Auch der
damalige Schatzmeister der PDS, Dietmar Bartsch, verweigerte einen
angefragten Kredit. Es blieb als einzige Chance die Gründung
einer Genossenschaft. Allerdings dauerte es dann noch bis zum
7.Oktober 1995, dem Gründungstag der DDR, bis hierfür
alle Voraussetzungen vorlagen. Und es dauerte nochmals zweieinhalb
Jahre, bis in der LPG junge Welt eG genug Kapital
angesammelt wurde, damit sie die Mehrheitsanteile am Verlag 8. Mai
übernehmen konnte. Seither sind die Mitglieder der
Genossenschaft Herausgeber der jungen Welt.
Was damals eine Notlösung war, erwies sich als
Glücksfall: Weil die Finanzierung dieser Zeitung vor allem
über selbsterwirtschaftete Mittel des Verlages und über
Kredite der Genossenschaft erfolgt, bleibt die junge Welt
bis heute unabhängig von großen Verlagshäusern,
Parteien, Banken, Religionsgemeinschaften, Anzeigenkunden. Und das
ermöglicht ihr bis heute kritischen Journalismus und
marxistische Standpunkte. Allerdings steht die junge Welt
heute wieder vor einem historischen Wendepunkt: Sie braucht nicht
nur Geld, um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten, sondern
zusätzlich Kapital, um Print- und Online-Ausgabe der jungen
Welt weiterzuentwickeln. Dieses wird sie auch heute nicht von
Banken erhalten. Gemeinsam mit ihren Leserinnen und Lesern werden
Verlag und Redaktion die notwendigen Mittel auch für diesen
nächsten Schritt aufbringen.
Deshalb feiern wir in diesen Tagen viele Jahrestage: 63 Jahre
Tageszeitung junge Welt, 61 Jahre Gründung der DDR, 15
Jahre Genossenschaft und Verlag 8. Mai, acht Jahre Berliner
Büro Buchmesse Havanna. Demo-Christian begleitet uns
übrigens seit Jahren auf diesem Weg. Als 1997 in Verlag und
Redaktion ein erbitterter Streit über die inhaltliche Linie
der jungen Welt ausbrach, erschien Demo-Christian mit einem
Holzgewehr in den Verlagsräumen und wollte symbolisch Geiseln
nehmen, bis sich die Kontrahenten wieder vertrügen. Sie
hätten gefälligst ihrer historischen Verantwortung
für dieses Projekt gerecht zu werden, war seine zentrale
Forderung.
https://www.jungewelt.de/artikel/152263.warum-wir-feiern.html