13.09.2010 / Feuilleton / Seite 13
Chabrol tot
Einen Chabrol bestellt man im DVD-Versandhandel wie einen
gepflegten Wein. Ein Vorteil: Die Filme sind immer wohltemperiert.
Es geht in ihnen meist um reiches Bürgertum auf einem
Landsitz. Um feine Etiketten, innerfamiliäre Bigotterie und
grobe Niedertracht. Auf kleiner Flamme köchelte Chabrol seinen
Haß auf die Klasse, der er entstammte.
Geboren am 24. Juni 1930 als Sohn eines Apothekers eines Apothekers
eines Apothekers, studierte er an der Sorbonne Literatur zu Ende,
begann dann mit, na?, Pharmazie, ging aber doch lieber zur Pariser
PR-Abteilung des Hollywoodstudios Fox. In der Cahiers du
Cinéma kritisierte er Filme auch als Charles Eitel und
Jean-Yves Goute. 1956 ermöglichte ihm eine üppige
Erbschaft seiner Frau die Gründung der Produktionsfirma AJYM
Films, die sein Debüt »Le beau Serge« (Die
Enttäuschten, 1958) in die Kinos brachte, dann Erstlingswerke
von Jacques Rivette und Eric Rohmer, mit dem Chabrol zu diesem
Zeitpunkt schon eine Hitchcock-Monographie erstellt hatte. Seit
dieser Welle (Nouvelle Vague) drehte Chabrol jedes Jahr bis zu vier
Filme – besser schlechte als keine. Wenn gerade nichts
anderes ging, machte er auch billige 007-Kopien fürs
Fernsehen. Am besten war er in den späten 60ern (»La
femme infidèle«, 1968, »Que la bête
meure«, 1969, »La rupture«, 1970). Seine beste
Schauspielerin war nicht Isabelle Huppert, sondern Stéphane
Audran. Im Spiegel vom 27.11.1989 äußerte sich Chabrol
sehr bürgerlich zu Rainer Werner Fassbinder: »Er hat
meine Filme faschistisch genannt, und ich könnte ihm dieses
Kompliment zurückgeben.«
Warum sich die Bourgeoisie in seinen Filmen so behaglich vor sich
selbst gruseln kann? »Zum einen komme ich selbst aus der
Bourgeoisie, muß also einige ihrer Merkmale in mir
tragen«, erklärte Chabrol in einem arte-Interview zu
seinem 80. im Juni. »Zum anderen ist die Bourgeoisie
gegenwärtig die einzige Klasse, die sich rühmt, eine
Klasse zu sein.« Er könne sich »nur dann für
Arbeiter interessieren, die ihren Chef einsperren, wenn sie es
gerade in dem Augenblick tun, in dem die Frau des Chefs
entbindet«.
Wie das Pariser Rathaus mitteilte, ist er am Sonntag
gestorben.
(jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/150758.chabrol-tot.html