25.08.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Scheindebatte um die Bundeswehr
Die am Montag von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu
Guttenberg vorgestellten »Reformpläne« der
Bundeswehr werden von der Friedensbewegung als
friedensgefährdend und verfassungswidrig abgelehnt. jW
dokumentiert eine erste Stellungnahme von Lühr Henken
(Hamburg) und Peter Strutynski (Kassel) vom Bundesausschuß
Friedensratschlag:
Wäre die Sache nicht so ernst, könnte man die Debatte um
die Beibehaltung oder Abschaffung der Wehrpflicht als possierliche
Auseinandersetzung um Peanuts abtun. Wenn aber die Befürworter
der Wehrpflicht so vehement auf das Grundgesetz pochen, ist das
zutiefst scheinheilig. Denn dieselben Politiker verstoßen
seit Jahren gegen die verfassungsrechtliche Beschränkung der
Bundeswehr auf die Landesverteidigung (Artikel 87a Grundgesetz),
indem sie deutsche Soldaten in Kampfeinsätze außerhalb
des Bundes- und NATO-Bündnisgebiets schicken.
Die allgemeine Wehrpflicht ist zudem keineswegs als zwingende
Rechtsvorschrift, sondern als Kann-Bestimmung in das Grundgesetz
eingefügt worden. In Artikel 12a Ziffer 1 heißt es:
»Männer können vom vollendeten achtzehnten
Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im
Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet
werden.« Die Rechtfertigung für die Inanspruchnahme der
Wehrpflicht durch den Staat ergibt sich allein aus der
Notwendigkeit einer (effektiven) Landesverteidigung. Dies erkannte
auch der Verfassungsjurist und damalige Bundespräsident Roman
Herzog, der zum 40jährigen Bestehen der Bundeswehr sagte:
»Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die
individuelle Freiheit des jungen Bürgers, daß ihn der
demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die
äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist
also kein allgemein gültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist
auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage.« Mit
anderen Worten: Die Wehrpflicht kann durch den Gesetzgeber
jederzeit widerrufen werden – und sie muß aus der Logik
der Grundrechte heraus widerrufen werden, wenn die Sicherheitslage
ihrer nicht bedarf. Dies ist nach allgemeiner Auffassung heute der
Fall.
Wer sich also auf das Grundgesetz berufen will, muß die
Abschaffung der Wehrpflicht fordern.
Damit ist aber das Hauptproblem noch nicht angesprochen – und
das liegt in der beabsichtigten Transformation der Bundeswehr aus
einer Armee zur Landesverteidigung in eine »Armee im
Einsatz«. Allein zum Zweck der Kriegführung in den
sogenannten neuen Kriegen, die in der Regel Interventionskriege
gegen militärisch unterlegene Gegner sind, wird die Bundeswehr
auf eine schlagkräftige Truppe von 163500 bis 175000 Berufs-
und Zeitsoldaten abgespeckt. Diese beachtliche Truppenreduzierung
um etwa ein Drittel ist mitnichten ein Abrüstungsschritt, weil
er nicht in friedlicher Absicht vorgenommen wird. Worum es geht,
ist die Effektivierung und Flexibilisierung der Bundeswehr, um noch
mehr Soldaten für Militärinterventionen zur
Verfügung zu haben. Die derzeit mögliche Zahl von 7000
bis 10000 Soldaten, die zeitgleich Auslandseinsätze
durchführen, soll nach den Plänen Guttenbergs
spürbar erhöht werden. Einzelheiten dazu werden aber noch
unter Verschluß gehalten.
Durch Einsparung von Standorten und Personalmitteln sollen
mittelfristig wohl auch die allgemeinen Kosten der Bundeswehr
gesenkt werden. Dafür können dann die
Beschaffungsmaßnamen durchgeführt werden, die für
eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee, für
Sondereinheiten wie Eingreiftruppen oder Kommando
Spezialkräfte (KSK) notwendig erscheinen. Mit anderen Worten:
Einsparungen bei den Personalkosten kommen der besseren Bewaffnung
und Ausrüstung zugute. Die Rüstungsindustrie reibt sich
die Hände.
Artikel 87a Grundgesetz lautet: »Der Bund stellt
Streitkräfte zur Verteidigung auf.« Die Pläne
Guttenbergs setzen eine grundgesetzwidrige Politik fort, die ihren
vorläufigen Höhepunkt im völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg gegen Jugoslawien fand. Angriffskriege – und
nichts anderes sind Militärinterventionen – würden
zur Regel, Krieg zum Alltag werden. Die Politik des
Militärinterinterventionismus zum Zwecke der Durchsetzung
deutscher Macht-, Rohstoff- und Wirtschaftsinteressen ist
zerstörerisch und lebensfeindlich und trägt nicht zum
»friedlichen Zusammenleben der Völker« bei. Dazu
aber ist die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 26 Grundgesetz
verpflichtet.
Die Friedensbewegung gibt noch einmal zu bedenken: Außer zur
Landes- und Bündnisverteidigung ist die Bundeswehr nicht
geschaffen worden. Wenn sie dafür nicht mehr gebraucht wird,
ist sie verzichtbar. Wer trotzdem an ihr festhält und sie als
Interventionsarmee ausbaut, verstößt gegen das
Grundgesetz und darüber hinaus gegen das Interventionsverbot
des Völkerrechts (Artikel 2,4 UN-Charta).
Der Bundesausschuß Friedensratschlag tritt dafür ein,
die Politik des Militärinterventionismus zu stoppen, sich aus
den »Schnellen Eingreiftruppen« von NATO und EU
zurückzuziehen, die aggressiven Aufrüstungsprogramme zu
stoppen, die Zwangsdienste Wehrpflicht und Zivildienst abzuschaffen
und die Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zu beenden.
Das bedeutet vordringlich, in Afghanistan die Kampfhandlungen
einzustellen und sofort mit dem Rückzug der Bundeswehr zu
beginnen.
https://www.jungewelt.de/artikel/149828.scheindebatte-um-die-bundeswehr.html