24.08.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Reaktionen: Freiheit ein abstraktes Gut
In der aktuellen Ausgabe des Hamburger Nachrichtenmagazins Der
Spiegel kommentiert Bernhard Zand den US-Teilabzug aus dem
Irak:
(…) Bis heute nimmt dieser Krieg kein Ende. Er entzieht sich
nur allmählich unserer Aufmerksamkeit. (…) es gibt
keine Sicherheit – es sei denn, man erklärt ein Land
für sicher, in dem nach wie vor jeden Monat Hunderte ermordet
werden. 222 waren es nach der Statistik der Amerikaner im Juli. Die
Iraker, inzwischen auch selbst verantwortlich und deshalb nicht zur
Übertreibung neigend, haben 535 Tote gezählt. Die
Freiheit, die sie heute genießen, ist den meisten Irakern ein
abstraktes Gut. Am vergangenen Freitag betrug die Temperatur in
Bagdad 47 Grad. Die Ventilatoren liefen zweimal, kurz am Morgen,
kurz in der Nacht, insgesamt zwei Stunden lang. Der Energieriese
Irak, dessen enormes Potential Amerika entfesseln wollte,
fördert heute weniger Öl als unter Saddam. (…) Was
bedeutet es in diesem Land, in diesem Teil der Welt, wenn Amerika
seinen Krieg jetzt zum zweiten Mal für beendet erklärt?
Viel für Obama, nichts für den Irak.
In der Springer-Zeitung Die Welt (21. August) kritisiert Richard
Herzinger den US-Rückzug aus dem Irak als
»verfrüht«:
(…) Noch im Rückzug erweist sich, daß die USA
ungeachtet aller Schmähungen als
»imperialistischer« Bösewicht nach wie vor die
einzige Ordnungsmacht sind, die im Pulverfaß Naher Osten ein
Minimum an stabilem Gleichgewicht sichern kann. Um so fataler
für die Glaubwürdigkeit zukünftiger Demonstrationen
amerikanischer Entschlossenheit ist der Eindruck, daß der
Abgang aus dem Irak aus Überforderung erfolgt und nicht, weil
die USA ihre Ziele erreicht hätten. Als historischer Fehler
der USA könnte sich jetzt nicht der Irak-Krieg selbst
herausstellen, sondern daß man sich nicht auf jene 20 Jahre
militärischer Präsenz eingestellt hatte, die für
einen nachhaltigen Neuaufbau des Irak mindestens nötig
wären. So bleibt nur zu hoffen, daß von außen
genug getan werden kann, um die tapferen Iraker auf dem Weg in eine
bessere Zukunft zu halten. Und dass endlich auch wir Europäer
mehr dafür tun werden – jetzt, da die vermeintlich so
unheilvolle US-Besatzung als Ausrede wegfällt, es sich in der
bloßen Zuschauerrolle bequem zu machen.
https://www.jungewelt.de/artikel/149753.reaktionen-freiheit-ein-abstraktes-gut.html