12.08.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Dokumentiert: Friedliche Zukunft in weiter Ferne
Der Hamburger Völkerrechtler und frühere
Linke-Bundestagsabgeordnete Prof. Norman Paech wandte sich am 10.
August an den Botschafter Israels in Berlin, Yoram Ben-Zeev:
Ich habe lange gezögert, Ihnen zu schreiben, da mir angesichts
der Politik Ihrer Regierung gegenüber den Palästinensern
in Israel und in den besetzten Gebieten zunehmend die Worte
ausgehen. Was Ihre Regierung dem normalen
demokratisch-rechtsstaatlichen Verständnis zumutet, ist
offensichtlich auch den regierungstreuesten Medien in Deutschland
so peinlich, daß sie es nur mit Schweigen übergehen
können.
Es geht um die Familie von Herrn Firas Maraghy, die Ihre Regierung
offensichtlich zu einem weiteren Beispiel ihrer Politik der
definitiven Entarabisierung und Judaisierung Ostjerusalems zu
machen beabsichtigt. Damit soll die Annexion Ostjerusalems, die den
Makel der eindeutigen Völkerrechtswidrigkeit nicht los wird,
mit dem grausamen Mittel der Vertreibung aus den Häusern und
Zerstörung der Familien vollendet und unwiderruflich gemacht
werden. (...) Meint sie wirklich, mit diesen durch keine
Rechtsordnung zu rechtfertigenden Mitteln dem eigenen Volk in einem
letztlich rein jüdischen Staat eine friedliche und sichere
Zukunft in der arabischen Welt des Mittleren Ostens zu
garantieren?
Da ich nicht daran glauben will, daß Ihre Regierung keinem
Argument der Vernunft und Menschlichkeit mehr zugänglich ist,
bitte ich Sie eindringlich, bei Ihrer Regierung in Jerusalem eine
Änderung ihrer Haltung gegenüber der Familie Maraghy
herbeizuführen.
Vor genau einem Jahr schrieb ich das letzte Mal an Sie, damit Sie
die Ausreise von zwölf Deutsch-Palästinensern aus Gaza
ermöglichten, die dort ihre Verwandten besucht hatten. Nach
langen quälenden Wochen gelang ihnen schließlich die
Ausreise über den Grenzübergang in Rafah nach
Ägypten. Eine solche Lösung ist für die Familie
Maraghy nicht möglich. Sie steht für die Bedrohung der
ganzen palästinensischen Bevölkerung in Jerusalem. Sollte
es nicht gelingen, ihr Heimatrecht zu bewahren, so wird dies nicht
nur für die Familie unabsehbar traurige Folgen haben, sondern
auch für Israel das Ziel einer friedlichen Zukunft in
erträglicher Nachbarschaft zwischen den beiden Völkern in
noch weitere Ferne rücken.
PS. Daß ich auch der Rechtfertigung, die gestern
Ministerpräsident Netanjahu für den Angriff auf die
Free-Gaza-Flotille vor der israelischen Untersuchungskommission
vorgetragen hat, nicht zustimmen kann, entnehmen Sie bitte meinem
Gutachten, welches ich Ihnen beifüge. [Siehe dazu auch Norman
Paechs Beitrag »Angriff auf Völkerrecht« in jW vom
16. Juni 2010]
https://www.jungewelt.de/artikel/149130.dokumentiert-friedliche-zukunft-in-weiter-ferne.html