10.07.2010 / Aktion / Seite 16
Der Pol Pot von Havanna
Dietmar Koschmieder
Deutschland soll das Land der Dichter und Denker sein, liest man
gelegentlich. Kuba hingegen soll das Land des Diktators und des
Henkers sein, war am vergangenen Wochenende dem Neuen Deutschland
zu entnehmen (»Ein Universum – dann leider nur ein
Weltbild« von Uwe Stolzmann, ND, 3./4. Juli 2010). Wobei
keineswegs der Diktator und Henker Batista gemeint ist, sondern
zwei derjenigen, die ihn davongejagt haben. Der Autor arbeitete
sich an dem neuen Buch von Eduardo Galeano ab. Schon eine Woche
zuvor hatte das ND bei einer Buchbesprechung über eine
DDR-Untergrundgruppe erstaunliche Erkenntnisse verbreitet:
»Lieber von den Faschisten erschlagen werden, als selbst
Faschist sein! Lieber von den Kommunisten erschlagen werden, als
selbst Kommunist sein« (»Feindschaft oder
Versöhnung« von Gunnar Decker, ND, 26./27. Juni 2010).
Auf die deshalb aufgeworfene Frage »Sag mir wo du
stehst!« (jW vom 3./4. Juli 2010) kam umgehend die Antwort:
Jetzt werden die Massaker der Roten Khmer in Kambodscha auf eine
Ebene gestellt mit den Erschießungen, die Che im Rahmen der
revolutionären Erhebung in Havanna veranlaßte. Es gibt
nur wenige bürgerliche Zeitungen, in denen wie im ND Che
Guevara als Henker und Fidel Castro als Diktator tituliert
werden.
Für »zwei haltlos flapsige, bösartige
Attribute« in dem Stolzmann-Artikel hat sich die
ND-Chefredaktion mittlerweile entschuldigt (ND vom 6. Juli 2010).
Die Erklärung ist aber so allgemein, daß man sie auch
als vorsorgliche Entschuldigung für alle bisherigen und
künftigen Worte lesen kann. »Für ND insgesamt
bleibt die Schlußfolgerung, sorgsamer alle Worte zu beachten,
die wir publizieren – und uns dafür, daß wir diese
publizierten, zu entschuldigen«, endet der Beitrag. Das
läßt Schlimmes für die Zukunft ahnen. Bleibt aber
das Rätsel, wieso das ND auch mit diesem Beitrag gegen die
deutliche Mehrheit ihrer Leserinnen und Leser agiert. Ausgerechnet
in einer Situation, in der nur noch die rechtesten
europäischen Regierungen Beziehungen zur kubanischen Regierung
unter dem Vorwand der Verteidigung der Menschenrechte
einschränken wollen.
Angeblich gegen die kubanische Diktatur war auch der Boykott der
Buchmesse Havanna durch das Auswärtige Amt in den Jahren 2004
bis 2008 gerichtet, der zur Gründung des Berliner Büros
Buchmesse Havanna führte. Deutschland war in Havanna auch in
den Boykottjahren über das Büro und viele Verlage bestens
vertreten. Am Freitag abend fand in der Ladengalerie der jungen
Welt eine Präsentation des Büros statt. Die Arbeit
der vergangenen Jahre und die veränderten Bedingungen nach der
Aufgabe des Boykotts wurden analysiert und Überlegungen
für den Auftritt im kommenden Jahr vorgestellt. Das Büro
Buchmesse Havanna informiert in Kuba über Literatur und
Politik in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als seine
Aufgabe sieht es das Büro aber auch, im deutschsprachigen
europäischen Raum Kuba als ein Land vorzustellen, in dem
Menschenrechte der Bevölkerung wie das auf Gesundheit, Bildung
und Kultur wie in kaum einem anderen Land des Halbkontinents
verwirklicht werden. Ehrengäste der kommenden Buchmesse sind
die ALBA-Staaten. Im Büro Buchmesse gibt es Überlegungen,
künftig in Zusammenarbeit mit der jungen Welt auch in
anderen Staaten des ALBA-Verbundes aktiv zu werden. Gespräche
dazu werden im Februar auf der Buchmesse in Havanna stattfinden.
https://www.jungewelt.de/artikel/147301.der-pol-pot-von-havanna.html