26.06.2010 / Aktion / Seite 16
Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen
Dietmar Koschmieder
Darf die junge Welt wiedergeben, was andere sagen und
meinen? Darf sie die privaten Geschäfte bekannter Journalisten
oder weniger bekannter Ministerialdirigenten beschreiben,
womöglich mit Namensnennung? Darf ein (mittlerweile
ehemaliger) Geschäftsführer einer im Bundestag
vertretenen Partei der jungen Welt verbieten lassen, die
Einschätzung eines Stern-Autoren wiederzugeben? Und muß
der Chefredakteur der jungen Welt zensierend eingreifen,
wenn in einem Interview der Leiter einer Gedenkstätte verbal
angerempelt wird? Fragen, mit denen wir uns neben dem
Zeitungsmachen, den Marketingaktivitäten und Veranstaltungen
aller Art herumzuschlagen haben. Und die uns regelmäßig
viel Geld und Zeit kosten.
Im Prozeß gegen die Stellvertreterin des Chefredakteurs der
Berliner Zeitung, Brigitte Fehrle, hat die junge Welt
obsiegt – weil Frau Fehrle kurz vor der Hauptsacheverhandlung
die Klage zurückgezogen hat. Gegen den Schänder der
Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals, Gerd Gröger,
konnten Verlag und Redaktion zumindest presserechtlich gewinnen. In
Sachen Dietmar Bartsch ist noch nicht alles entschieden. Nachdem er
von der jungen Welt persönlich eine Gegendarstellung zu
zwei Aussagen aus einem von uns zitierten Stern-Artikel verlangt
hat, haben wir ihm dies sofort zugestanden. Das genügte
Dietmar Bartsch dann aber doch nicht, er forderte die
Gegendarstellung ein zweites Mal, diesmal über den Anwalt. Und
kurz danach auch eine Unterlassungserklärung, jeweils
verbunden mit saftiger Kostennote. Offen ist, ob und in welchen
Punkten wir in die Hauptsacheverhandlung eintreten werden. So oder
so kostet allein dieses Verfahren einige tausend Euro. Und viel
Zeit. Auch deshalb, weil sich Bartsch ausgerechnet den Anwalt
genommen hat, der normalerweise den Verlag 8.Mai in Pressesachen
vertritt.
Und da ist noch Herr Dr. Hubertus Knabe, Gedenkstättenleiter
aus Hohenschönhausen, der sich von Wolfgang Schwanitz (unter
anderem stellvertretender Minister für Staatssicherheit der
DDR) durch seine Wortwahl beleidigt fühlt – und von
Arnold Schölzel, weil der als Chefredakteur den Abdruck
zugelassen habe. Knabes Anzeige folgte ein Strafbefehl in Höhe
von 4800 Euro gegen Schölzel, weil er angeblich »mittels
des Druckwerks eine rechtswidrige Tat, nämlich eine
Beleidigung nach § 185 StGB begannen« habe. Auch
Schwanitz wurde mit einem Strafbefehl in gleicher Höhe
bedacht. Dagegen legten beide Widerspruch ein. Am Donnerstag sprach
nun das Amtsgericht Tiergarten beide frei und hob die Strafbefehle
auf. Der gefallene Ausdruck sei im Kontext des Interviews keine
Schmähung. Zudem müsse, wer wie Herr Knabe austeile, eben
auch einstecken können, führte die Richterin aus. Damit
wurde auch die Einschätzung der jungen Welt
bestätigt. Beide Beteiligten sind Personen der Zeitgeschichte,
und die Leserinnen und Leser unserer Zeitung haben das Recht
darauf, den inhaltlichen Streit und die konkrete Meinung der
Betroffenen originalgetreu in der jungen Welt
wiederzufinden, haben wir argumentiert.
Leider müssen wir aber solche Rechte für unsere
Leserinnen und Leser immer wieder vor Gericht erst durchsetzen. Und
da es sich um Abwägungssachen handelt, kann das Gericht auch
zu anderen Ergebnissen kommen. Die Staatsanwaltschaft hat nach dem
Urteilsspruch erklärt, sie werde prüfen, ob sie gegen das
Urteil vorgehen werde. Nur wenn wir über einen gut
gefüllten Prozeßkostenfonds verfügen, können
wir Risiken eingehen und uns auch an Prozesse wagen, die
aussichtslos scheinen oder die über mehrere Instanzen gehen.
Jede Spende für den Prozeßkostenfonds hilft daher, die
Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen.
https://www.jungewelt.de/artikel/146531.meinungs-und-pressefreiheit-verteidigen.html