17.06.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Hintergrund: Ungesühnte Naziverbrechen
Am 10. Juni 1944 ermordeten Nazibesatzer im Zuge einer sogenannten
Sühnemaßnahme 218 am Widerstand der Partisanen
völlig unbeteiligte Bewohner der Ortschaft Distomo.
Männer und Kinder wurden wahllos erschossen, Frauen
vergewaltigt und niedergemetzelt. Am 13. Dezember 1943 wurden in
der Ortschaft Kalavryta fast sämtliche Männer und
männliche Jugendliche – der jüngste war zwölf
Jahre alt – von deutschen Wehrmachtssoldaten ermordet. In
Kalavryta starben mindestens 511 Menschen.
Die Täter wurden von deutschen Gerichten niemals bestraft. Die
Überlebenden der Massaker und die Angehörigen der
Ermordeten von Distomo und Kalavryta kämpfen bis heute um
Entschädigung für das ihnen zugefügte Leid.
Der Areopag, das höchste griechische Gericht, verpflichtete
bereits im Mai 2000 die Bundesrepublik Deutschland
rechtskräftig, eine Summe von insgesamt 28 Millionen Euro
Entschädigung an die Kläger aus Distomo zu zahlen. Bis
zum heutigen Tage hat die BRD keinen Cent überwiesen und
fordert in allen Entschädigungsverfahren
»Staatenimmunität« für die Kriegs- und
Völkerrechtsverbrechen Nazideutschlands. Die griechische
Regierung verhindert bis heute die Zwangsvollstreckung an deutschem
Eigentum in Griechenland und beugt sich damit dem politischen Druck
aus Berlin.
Der oberste Gerichtshof Italiens, der Kassationsgerichtshof, hat
den Klägern aus Distomo jedoch erlaubt, ihre
Rechtsansprüche in Italien gegen deutsches Staatseigentum
durchzusetzen. »Staatenimmunität« erkennen die
italienischen Gerichte bei Verbrechen gegen die Menschheit und
Kriegsverbrechen zu Recht nicht an.
Um der Vollstreckung der Entschädigungsansprüche
endgültig zu entgehen, hat die deutsche Regierung im Dezember
2008 Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den
Haag erhoben. Berlin will festschreiben lassen, daß die
italienischen Gerichte für den Rechtsfall Distomo und für
Verfahren italienischer Opfer von Naziverbrechen –
Überlebende von Massakern und ehemalige Zwangsarbeiter–
nicht zuständig, ihre Urteile eine Verletzung der
Souveränitätsrechte Deutschlands seien.
Die BRD als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches hat ihre
Schulden gegenüber der griechischen Bevölkerung und
gegenüber dem griechischen Staat bis heute nicht bezahlt.
Deutsche Medien verdrehen angesichts der aktuellen Finanzkrise
Griechenlands diese Tatsachen. Gerade jetzt müssen die
Entschädigungsforderungen gegen Deutschland durchgesetzt
werden.
AK Distomo
https://www.jungewelt.de/artikel/146044.hintergrund-ungesühnte-naziverbrechen.html