15.04.2010 / Feuilleton / Seite 12
Droste liest und singt
Gut 13 Jahre, bevor der Spiegel den papstgewordenen Ratzinger ganz
investigativ und mutig als, huch!, »fehlbar«
bezeichnete, hatte Wiglaf Droste den obersten katholischen
Schlickenfänger im November 1996 so auf dem Zettel:
»Ratzinger will Jesus werden / Nicht erst im Himmel, nein:
Auf Erden? / Du willst sein wie Jesus Christus? / Nimm den Hammer,
und dann bist du’s! / Vergiß die langen Nägel
nicht / Denn du bist kein Leichtgewicht / Vorbildlich für alt
und jung / Ist die Eigenkreuzigung.«
In seiner 2003 erschienenen »Anekdote über Wiglaf
Droste« schrieb dann Peter Hacks: »Die großen
Begebenheiten sind in dieser Welt verblaßt, und gegen die
Nichtigkeit seines Stoffs kommt kein Künstler an«
– und hatte den Beweis des Gegenteils doch selbst schon
geliefert. In seinem »Blick auf meine Stadt«
verdichtete Hacks die Problematik der Kleiderwahl bei
fortwährendem Aprilwetter: »Was trägt man, Mantel,
Blazer oder Sweatshirt? / Was, wo bei Sonnenschein der Regen
plätschert?«
Man kann Kleidungsfragen für überschätzt und
läppisch erachten – und ihnen dennoch, weil sie zu den
menschheitsgeschichtlichen Überlebens- und Lebensfragen
gehören, Substanz und Poesie abringen. Über die
Übergangsjacke schrieb Wiglaf Droste jüngst: »Nach
draußen, ans Licht, zieht es den Menschen; nur – was
zieht er dabei an? Den Winterkram kann und will er nicht mehr
sehen, der ist ihm oll geworden und eine Last. Am liebsten
spränge er gleich im leichten Sommerzeug umher, so luftig
ist’s ihm in der Seele, aber das wäre nicht klug, zu
leicht ist eine Erkältung eingefangen, und die würfe ihn
um Tage, ja Wochen zurück. So greift der Mensch zum
Übergangsmantel, oder, kühner noch, zur
Übergangsjacke. Vom Untergang zum Übergang – wenn
das kein Fortschritt ist! Doch was genau ist eine
Übergangsjacke? Was hat man sich darunter vorzustellen? Bruno
Ganz, die alte Untergangszwangsjacke, jetzt eingekleidet von Jack
Wolfskinhead? Zicke-zacke, Übergangsjacke? (...)
Das Schönste an der Übergangsjacke ist der Tag, an dem
die Übergangsjackenzeit dann auch schon wieder vorbei ist. Bis
dahin gilt die Regel: »Der Deutsche ist vernarrt in den
Untergang, trägt dabei aber, zumindest zeitweise,
Übergangsjacke. Aber über den Übergangsjacken /
prangt – ohne oder mit Zopf –, / dabei modisch
gleichsam altbacken, dieses Ding namens
Übergangskopf.«
Über solche Fragen liest, spricht und singt Wiglaf Droste
heute in Bremen, morgen in Bielefeld (zusammen mit Fritz Tietz und
Hans Zippert) und übermorgen in Münster. (jW)
heute, Bremen, Theaterlabor; 16.4. Bielefeld, Kamp; 17.4.
Münster, Metropolis
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