08.04.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Hindernisse auf dem Weg zur globalen Nullösung
Entgegen allen offiziellen Behauptungen der US-Regierung dient die
Raketenabwehr nicht dem Schutz vor einem Atomangriff. Ihr Zweck ist
ausschließlich die Vereitelung eines Gegenschlags und damit
die Freiheit zum Angriff auf jeden denkbaren Gegner. Gegenüber
Rußland würde eine Raketenabwehr das bisher geltende
Prinzip der gesicherten gegenseitigen Vernichtung (wer als erster
schießt, stirbt als zweiter) außer Kraft setzen.
Weitere Reduzierungen der Atomwaffenarsenale über das jetzt
vereinbarte Maß hinaus hätten zur Folge, daß ein
nuklearer Erstschlag gegen Rußland eine reale Option für
die USA wäre. Denn je geringer die Anzahl der gegnerischen
Atomwaffen, desto effektiver schützt die Raketenabwehr vor
einem Gegenangriff und macht unverwundbar. Moskaus
Militärexpertenbefürchten deshalb zu Recht, daß es
den USA darum geht, »die russischen Atomwaffen auf ein Niveau
zu reduzieren, das vom amerikanischen Raketenabwehrsystem
neutralisiert werden kann«. (Generaloberst Leonid Iwaschow
von der russischen Akademie für Geopolitik, in: UZ, 1. Mai
2009)
Neben dem sogenannten Raketenschild ist auch die
unumschränkte, militärische Überlegenheit der USA
und ihrer NATO-Verbündeten in der sogenannten konventionellen
Kriegsführung ein Hindernis für eine globale
Nullösung. Die US-Streitkräfte verfügen über
die höchstentwickelten Waffensysteme der Erde, über
Kriegsflottenverbände auf allen Weltmeeren und über rund
750 Militärstützpunkte rund um den Globus. Im
Zusammenhang mit dem jetzigen Vertragsabschluß hat Moskau
darauf hingewiesen, daß von den USA immer neue konventionelle
Waffen entwickelt würden – Marschflugkörper und
andere Präzisionswaffen, die hinsichtlich der
Zerstörungskraft den atomaren in nichts nachstünden und
so die Vereinbarungen über die Reduzierung der strategischen
Nuklearwaffen unterlaufen (RIA Nowosti vom 26. März). Die
Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und den Irak haben
demonstriert, daß die NATO-Mächte ihre Wirtschafts- und
Vorherrschaftsinteressen nicht nur mit Erpressung, sondern auch mit
Aggressionskriegen durchsetzen. Staaten, die sich durch USA und
NATO bedroht sehen, werden deshalb kaum auf atomare
Abschreckungswaffen verzichten.
Claus Schreer
https://www.jungewelt.de/artikel/142525.hindernisse-auf-dem-weg-zur-globalen-nullösung.html