In Köln wurde der Aufruf »Schule ohne Bundeswehr«
veröffentlicht. Er wendet sich gegen die immer aufwendigeren
Werbeoffensiven der deutschen Armee an Schulen, Arbeitsämtern
und im Freizeitbereich. »Insbesondere durch den
Kooperationsvertrag, den das nordrhein-westfälische Schul- und
Bildungsministerium mit der Bundeswehr geschlossen hat (inzwischen
ist das Saarland gefolgt), soll eine Beeinflussung der Schüler
und Lehrer bereits weit im Vorfeld stattfinden«, heißt
es auf der Internetseite
www.jungegew.de. Gegen diese
interessengeleitete Einflußnahme wenden sich die
Erstunterzeichner des Aufrufs. Dies sind vor allem Lehrerinnen und
Lehrer aus Köln und der unmittelbaren Umgebung,
Wissenschaftler, die in der Lehrerbildung tätig sind und
Kulturschaffende, darunter die Schriftsteller Günter Wallraff
und Roger Willemsen, das Kölner Kabarettistentrio Jürgen
Becker, Heinrich Pachl und Wilfried Schmickler sowie der Publizist
Martin Stankowski.
Die Schule der Nation ist die Schule.« Aus aktuellem
Anlaß scheint uns geboten, auf diesen Grundsatz in Willy
Brandts erster Regierungserklärung zurückzukommen. Er
setzt sich damit von der altbekannten Formel »Armee als
Schule der Nation« entschieden ab und fordert die
»Erziehung eines kritischen, urteilsfähigen
Bürgers, der imstande ist, durch einen permanenten
Lernprozeß die Bedingungen seiner sozialen Existenz zu
erkennen und sich ihnen entsprechend zu verhalten«.
Wir erinnern daran, weil die Bundeswehr von Jahr zu Jahr breiter
angelegte Reklamefeldzüge veranstaltet, um Jugendliche, meist
Minderjährige, für das Soldatenhandwerk zu gewinnen. So
sollen in diesem Jahr 40 Städte vom sogenannten
»Karriere-Treff« der Bundeswehr angesteuert werden.
Damit ganze Klassen das mobile Werbe-Event besuchen, werden Schulen
angeschrieben, 2008 mehr als 1700mal, doppelt so oft wie 2007.
Für 2009 sind 599 Einsätze bei Jugend-, Freizeit- und
Bildungsmessen vorgesehen. Außerdem sind Arbeitsämter
und Berufsberatung direkt an Schulen Ziel der Jugendoffiziere und
sogenannten Wehrdienstberater. Vielleicht gravierender als diese
sichtbaren Auftritte sind Versuche, durch Einflußnahme auf
den Unterricht frühzeitig motivierte Soldatinnen und Soldaten
zu gewinnen. Dem dienen Lehrerfortbildungen, vorgefertigte
Unterrichtseinheiten, Freizeitangebote mit Abenteuerflair oder auch
Seminare mit dem Strategiespiel POL&IS. Dies alles soll die
Jugendlichen in die Denkweise global agierender Militärpolitik
einführen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat
durch einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr diesen
Werbefeldzügen in Richtung Schule Tür und Tor
geöffnet.
Im Kern all dieser Anstrengungen stehen Inhalte, die in der
Gesellschaft höchst umstritten und oftmals mehrheitlich nicht
akzeptiert sind. Zum Beispiel lehnen über 60 Prozent der
Bundesbürgerinnen und -bürger den Militäreinsatz in
Afghanistan ab, bei der Entsendung der Tornado-Kampfflugzeuge waren
es sogar 77 Prozent.
Da zum Krieg entschlossene Regierungen nicht davor
zurückschrecken, die Zustimmung von Bevölkerung und
Verbündeten mit erfundenen Behauptungen zu erreichen, ist ein
Unterricht, der die Schülerinnen und Schüler zum
kritischen Hinterfragen, zum Verarbeiten vielseitiger Information
befähigt, gerade in dieser Frage, welche Rolle das
Militär in der Gesellschaft spielt und spielen soll,
unverzichtbar.
Terrorismus und dessen Bekämpfung sind durchaus wichtige
Unterrichtsthemen. Dabei müssen allerdings wirtschaftliche und
politische Ursachen ebenso beleuchtet werden wie die verheerenden
Auswirkungen sowohl des Terrorismus als auch dessen
militärischer Bekämpfung für die
Zivilbevölkerung, aber auch für die Soldaten. Untersucht
werden muß, ob militärische Einsätze überhaupt
geeignet sind, Terrorismus sowie die ihm u.a. zugrundeliegenden
globalen Verteilungs- und Armutsprobleme zu lösen. Ihnen
müssen Lösungsansätze einer zivilen Friedenspolitik
entgegengesetzt werden. Einsichten können die Schüler nur
dann gewinnen, wenn die Interessenlage aller an den Konflikten
Beteiligten offengelegt wird. Dies gilt auch für die
Strategiepapiere der Militärs.
Die Bedeutung von Dämonisierung anderer Völker und
Religionen sowie die Produktion von Feindbildern müßte
in diesem Zusammenhang tiefgehend im Unterricht erarbeitet werden.
Erst wer über das ganze Problemfeld nachgedacht hat, wird als
junger Erwachsener eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen
können. (…)
Lehrerinnen und Lehrer sind aufgefordert, ihrer Verantwortung
für die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen gerecht zu
werden, indem sie sie zu Menschen erziehen, die verantwortungsvolle
und wohlinformierte Entscheidungen für ihre eigene Zukunft
treffen können und nicht einer Werbekampagne zum Opfer fallen,
die sie in ein tödliches Abenteuer leiten kann. (...)
Das Militär hat an Schulen, Arbeitsämtern, Bildungsmessen
nichts zu suchen. Es darf keine Werbeanstrengungen, offen oder
verdeckt, an den Schulen geben, keine Unterrichtseinheiten, die
Schüler auf angebliche Sachzwänge orientieren, statt eine
gründliche Problemanalyse zu erarbeiten, keine Freizeiten, die
mit Abenteuergeist und Technikfaszination ein geschöntes Bild
vom Leben als Soldat vorspiegeln.