02.03.2010 / Betrieb & Gewerkschaft / Seite 15
Lesetips
Vermeintliche Vorbilder
Dieser Mann muß wissen, wie sich Betriebsräte in
Krisenzeiten verhalten sollten: Klaus Franz. Hat der
Gesamtbetriebsratschef von Opel doch diverse Verträge zur
»Beschäftigungs- und Standortsicherung«
unterschrieben, bei denen die Belegschaften erhebliche
Zugeständnisse gemacht haben. Daß die Zahl der Opelaner
in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre mehr als halbiert wurde,
hat das nicht verhindert. Trotzdem wurde Franz in die Jury des von
der Zeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb initiierten
»Deutschen Betriebsrätepreises 2009«
berufen.
»Es ist eine Gratwanderung für Betriebsräte
zwischen ihrem Auftrag und den Erwartungen der Beschäftigten
einerseits und der Verantwortung andererseits, die im Falle eines
Scheiterns den Mitbestimmungsorganen zugeschoben wird«, so
Franz in seinem Einleitungsreferat zur Preisverleihung. Wie bei
Opel meint »Verantwortung« hier die Bereitschaft der
Beschäftigtenvertreter, mit Verzichtsleistungen die
Arbeitsplätze vermeintlich zu sichern. So auch beim Sieger des
Wettbewerbs, dem Gesamtbetriebsrat der Karstadt Warenhaus GmbH.
Dieser hatte unter anderem im Oktober 2008 einen
»Zukunftspakt Karstadt« abgeschlossen, der die Jobs mit
einem »Solidarbeitrag« der Beschäftigten retten
sollte. Funktioniert hat das bekanntlich nicht. Angesichts von
Pleite und Massenentlassungen wäre nicht eine Preisverleihung,
sondern das Gegenteil sinnvoll: Die Schlußfolgerung,
daß Lohnverzicht eben doch keine Arbeitsplätze sichert.
Davon abgesehen gibt es unter den 90 aufgeführten Beispielen
viele Betriebsräte, die tatsächlich konsequent für
ihre Belegschaften streiten. Ob der Kampf gegen Tarifflucht bei der
Hanauer Vacuumschmelze oder für die Gründung von
Betriebsräten beim Discounter Lidl – dies sind wirklich
Vorbilder für erfolgreiche Interessenvertretung. (jW)
Eva Maria Stoppkotte/Thorsten Halm (Hrsg.): Betriebsratsarbeit
in Krisenzeiten. 90 Beispiele erfolgreicher Interessenvertretung.
Deutscher Betriebsrätepreis 2009. Bund-Verlag, Frankfurt/Main,
2010, 226 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-7663-3989-8
https://www.jungewelt.de/artikel/140346.lesetips.html