Thomas Immanuel Steinberg sprach am Donnerstag abend in Hamburg
auf der Veranstaltung »Islamische Republik Iran: Am Ende oder
im Aufschwung?« über die Fälschung eines
Ahmadinedschad-Zitats und seine Folgen. jW dokumentiert den Vortrag
gekürzt. Vollständiger Wortlaut im Internet: www.steinbergrecherche.com
Im Jahr 1979 stürzte die iranischen Opposition das
Schah-Regime. Am Sturz war die kommunistische Tudeh-Partei
beteiligt, jedoch nicht an führender Stelle. Drei Jahre
später verhafteten die Kräfte, die heute noch im Iran
herrschen, Tausende Anhänger der Tudeh-Partei. Viele richteten
sie hin. Bis heute inhaftieren die iranischen Herrscher politische
Gegner oder richten sie hin. Darin gleichen sie ihren
außenpolitischen Gegnern. Die US-amerikanischen und die
israelischen Herrscher sperren ebenfalls politische Gegner in ihrem
Herrschaftsbereich in Gefängnisse oder Lager oder bringen sie
um.
Der Staat Iran hat jedoch, anders als die Vereinigten Staaten und
der Staat Israel, zumindest in diesem und im vorigen Jahrhundert,
kein fremdes Staatsgebiet angegriffen oder gar erobert und besetzt.
Die Vereinigten Staaten und der Staat Israel unterstellen nunmehr
dem Staat Iran, er wolle den Staat Israel angreifen und das Land
vernichten. Sie stützen sich dabei auf Aussagen des iranischen
Präsidenten Ahmadinedschad, vor allem auf die Behauptung,
Ahmadinedschad habe am 26. Oktober 2005 in Teheran gesagt, er wolle
Israel von der Landkarte tilgen.
Ich habe mich mit dieser Behauptung befaßt, weil sie in den
USA, in Israel und in der deutschen Presse dazu dient, einen
Angriff der US-amerikanischen und der israelischen
Streitkräfte auf den Iran im Vorhinein zu rechtfertigen. Was
die deutsche Presse anlangt, vermerkte die Gruppe
Arbeiterfotografie im Frühjahr 2006: »dem Erdboden
gleichmachen, zerschlagen, vernichten, zerstören, tilgen,
ausradieren, von der Landkarte löschen – das habe der
iranische Präsident gefordert – lesen oder hören
wir Ende Oktober 2005 in der taz, in der Berliner Zeitung, der
Welt, im stern, im Spiegel, in der Zeit, in der FAZ, der
Frankfurter Rundschau, beim ZDF, in der Tagesschau und bei
N24.«
Doch was hatte der iranische Präsident Mahmud Ahamdinedschad
tatsächlich am 26. Oktober 2005 gesagt? Er hatte zustimmend
den Revolutionsführer Ruhollah Musavi Khomeini zitiert
mit dem Satz: »Dieses Regime, das Jerusalem besetzt
hält, muß von der Seite der Geschichte (wörtlicher:
von der Seite der Zeit/des Zeitenlaufs) verschwinden.«
Ahmadinedschad hat also in seiner Rede weder angekündigt,
etwas zu tun, noch dazu aufgefordert, etwas zu tun. Er hat dringend
gewünscht. Was hat er dringend gewünscht? Weder hat er
dringend gewünscht, daß etwas von der Landkarte
gelöscht, noch, daß es getilgt, zerschlagen oder gar
vernichtet wird; sondern: daß etwas verschwindet.
Was sollte verschwinden? Weder sollte Israel verschwinden, noch die
Israelis, noch gar, wie einige behaupten, die Juden. Vielmehr hat
der Präsident dringend das Verschwinden des Regimes
gewünscht, das Jerusalem besetzt hält. Das ist jenes
Regime, das zur Zeit die Palästinenser quält, Gaza
belagert, die syrischen Golanhöhen beherrscht und das
Westjordanland sowie Ostjerusalem Schritt für Schritt
annektiert.
Aus dem dringenden Wunsch des Präsidenten nach dem
Verschwinden dieses Regimes machte die deutsche Presse eine
Aufforderung zur Vernichtung Israels. Auch eine Dienststelle der
Bundesregierung, die Bundeszentrale für politische Bildung,
verbreitete die Lüge. Sie roch genauso wie all die Lügen,
die den Vietnamkrieg vorbereitet und begleitet hatten; die
Unterstützung des Schahregimes; die Zerschlagung
Restjugoslawiens; die Invasion Afghanistans und die
Zertrümmerung des Irak. Diese Dienststelle der
Bundesregierung, die Bundeszentrale für politische Bildung,
stellte ihrem Internet-Dossier mit dem Titel
»Antisemitismus« den Satz voran: »seiner
Äußerung, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen,
sorgte Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Oktober 2005
weltweit für Empörung.«
Ich monierte am 15. Januar 2008 die Falschübersetzung bei der
Bundeszentrale unter Verweis auf Arbeiterfotografie. Da das
Falschzitat unmittelbar unter der Überschrift
»Antisemitismus« stand, schrieb ich zum Schluß:
»Sie, sehr geehrte Damen und Herren, erweisen überdies
mit Ihrer fehlerhaften Wiedergabe der
Ahmadinedschad-Äußerung dem Kampf gegen Judäophobie
einen Bärendienst.«
Auf diese und drei weitere offene Mails zur Zitatfälschung
reagierte die Bundeszentrale nicht. Ich schrieb deshalb an die
Fachaufsicht der Bundeszentrale beim Bundesinnenministerium
(…). Am 20. Februar 2008, gut einen Monat nach meiner ersten
Mail, reagierte im Namen des Ministeriums Frau Hesse mit einem
Brief, der schloß: »[Es] besteht keine Veranlassung
für die von Ihnen gewünschte Korrektur.« Kein
Anlaß zur Korrektur bestehe dem Bundesinnenministerium
zufolge deshalb, weil Bundesregierung, Europäische Union und
Vereinte Nationen wiederholt ihre Haltung zum Holocaust und zum
Existenzrecht Israels deutlich gemacht und jede Drohung gegen
Israel verurteilt hätten. Ich antwortete: »halten an der
Lüge fest: Andere ja auch. Das kennen wir aus der deutschen
Geschichte.«
Dank der unermüdlichen Arbeit der Arbeiterfotografen haben
sich zwar Spiegel, dpa und Zweites Deutsches Fernsehen von der
Falschübersetzung distanziert. Doch die Falschübersetzung
steht bis heute auf der Seite der Bundeszentrale. Und weiterhin
wimmelt es in der Presse von noch phantasievolleren
Fälschungen. Auf sie stützen sich die israelischen,
US-amerikanischen und bundesdeutschen Sanktions- und
Kriegsdrohungen gegen den Iran.