08.02.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Hintergrund: Hartz IV auf dem Prüfstand
Das Bundesverfassungsgericht verkündet am Dienstag seine
Entscheidung über Vorlagen des Bundessozialgerichts und des
Hessischen Landessozialgerichts. In den drei Ausgangsverfahren
haben Hartz-IV-Familien aus Dortmund, dem bayerischen Landkreis
Lindau am Bodensee und aus Hessen geklagt. Die Richter kamen zu der
Auffassung, daß die pauschalierte Festlegung der
Regelsätze für Kinder und Jugendliche der Verfassung
widerspricht. So sei der tatsächliche Mindestbedarf nicht
ermittelt, sondern pauschal 60 bzw. 70 Prozent des
Erwachsenen-Regelsatzes von derzeit 359 Euro im Monat festgelegt
worden. Das Landessozialgericht beanstandete zudem
ausdrücklich auch den Erwachsenen-Regelsatz.
Bei der mündlichen Anhörung des höchsten deutschen
Gerichtes im Oktober hatte der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen
Papier angekündigt, daß es ein Grundsatzurteil zum
»Grundrecht auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums« und dessen
»Inhalte und Grenzen« geben werde. Zwar wird das
Gericht keine neuen Regelsätze vorgeben, es wird aber
erwartet, daß die Politik relativ präzise Vorgaben
erhalten wird, auf welcher Grundlage besagtes Existenzminimum
sowohl für Erwachsene als auch für Kinder ermittelt
werden muß.
Bislang wird der Eckregelsatz anhand der Konsumausgaben des unteren
Einkommensfünftels der Alleinstehenden festgelegt. Als
Datenbasis dient die alle fünf Jahre erhobene Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes. Für
zehn verschiedene Ausgabengruppen von »Nahrungsmittel«
bis »Verkehr« werden die durchschnittlichen
Aufwendungen der Referenzgruppe bestimmt – und
anschließend durch Ausschluß einzelner Posten nach
unten korrigiert. Alle zehn Einzelpositionen addieren sich zum
Eckregelsatz. Für Kinder und Jugendliche war auf spezifische
»Warenkörbe« für die Bedarfsberechnung
verzichtet worden, so daß beispielsweise Bildungskosten
überhaupt nicht in die Berechnung eingehen.
Das Grundsatzurteil wird von der Politik, Sozialverbänden und
den Betroffenen mit großer Spannung erwartet. Derzeit
beziehen gut 4,7 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter
Arbeitslosengeld II und knapp 1,7 Millionen Kinder
Sozialgeld.
(balc)
https://www.jungewelt.de/artikel/139173.hintergrund-hartz-iv-auf-dem-prüfstand.html