23.12.2009 / Schwerpunkt / Seite 3
Hintergrund: Geopolitischer Sieg Indiens
Unter den vielen US-Verbündeten in Afghanistan dürfte
Indien das einzige Land sein, das die Fortsetzung des zunehmend
prekären Afghanistan-Abenteuers mit Enthusiasmus
begrüßt. Der indische Ministerpräsident Manmohan
Singh hatte sich unlängst während seines Staatsbesuchs in
Washington nachdrücklich für den amerikanischen
Verbleib und die Eskalation in Afghanistan ausgesprochen. Zugleich
spielte Indiens eigene Präsenz in Afghanistan in den
Obama-Singh-Gesprächen eine große Rolle. Dabei wurde die
einem Bericht des US-Oberkommandierenden in Afghanistan, General
Stanley McChrystal, im September geäußerten Bedenken,
daß die Ausweitung des indischen Einflusses im Land am
Hindukusch kontraproduktiv auf Pakistan wirken würde, rundum
verworfen. Statt dessen hat Obama Medienberichten zufolge Premier
Singh nicht nur für die indischen Aktivitäten in
Afghanistan gedankt, sondern ihm auch deren Fortführung
nahegelegt.
Aus der Sicht Washington füllt Indien in Afghanistan ein
Vakuum. Es entstand dadurch, daß westliche Unternehmen,
Experten und Facharbeiter immer weniger bereit sind, unter
desolaten Wirtschafts- und Sicherheitsbedingungen in dem Land zu
arbeiten, besonders wenn es sich um schlecht bezahlte und
schmutzige Tätigkeiten handelt. »Wir brauchen Indiens
Hilfe in Afghanistan«, titelte Forbes Magazine denn auch
Mitte November 2009, um den Enthusiasmus Neu Delhis weiter
anzustacheln, auch wenn das (noch nicht) bereit ist, Soldaten zu
schicken.
Tatsächlich hat Indien auf Grund seiner historischen Bindungen
und kulturellen Affinität zu Afghanistan demonstriert,
daß es bei der praktischen Arbeit vor Ort über
einzigartige und effektive Möglichkeiten verfügt. Auch
vom Volumen her hat es bereits eindrucksvoll zivile Hilfe
geleistet. Mit bisher 1,2 Milliarden US-Dollar Unterstützung
ist es Afghanistans fünftgrößter Geldgeber.
Zugleich hat es viele Projekte in den Bereichen Energie, Medizin,
Landwirtschaft und Bildung unterstützt. Sogar Afghanistans
neues Parlament wird von einer indischen Firma gebaut, während
indische Fachleute afghanische Beamte ausbilden und indische
Ingenieure weitgehend unbehelligt im unsicheren Süden an
Straßenbauprojekten arbeiten.
Angesichts dieser Erfolgsstory in Afghanistan verhält sich
Islamabad noch paranoider als zuvor. Dabei muß sich Indien
selbst in Afghanistan nicht besonders anstrengen, um Pakistan zu
destabilisieren. Es genügt, daß das westliche Abenteuer
in Afghanistan andauert, um im Inneren Pakistans eine
selbstzerstörerische Kräftekonstellation
herbeizuführen. Allein das bedeutet für Indien bereits
einen geopolitischen Sieg.
(rwr)
https://www.jungewelt.de/artikel/136775.hintergrund-geopolitischer-sieg-indiens.html