Er mußte früh mit zupacken. Des Vaters Lohn als Maurer
und später als Gelegenheitsarbeiter in Berlin reichte nicht
aus, die kinderreiche Familie zu ernähren. Die Mutter betrieb
ein kleines Gemüsegeschäft in einer Arbeitergegend, wo
die Seelenbinders wohnten. Der am 2. August 1904 als zweites Kind
geborene Werner ging ihr frühzeitig zur Hand, übernahm
Botengänge und Transportarbeiten, soweit seine Kräfte
ausreichten. Not litt die Familie nicht, wenn auch jeder Groschen
umgedreht werden mußte. Heute wird in solchen Fällen von
»Unterschicht« oder »Prekariat«
geschwatzt.
Der Vater wurde im Ersten Weltkrieg eingezogen, die Mutter starb
1915. Großmutter und Enkel erhielten das Geschäft
aufrecht. 1917 trat Werner einem Arbeiter-Athleten-Verein bei und
fand am Ringen Gefallen. In den 20er Jahren erzielte er erste
nationale und internationale Erfolge, wurde in die
Ringerländermannschaft des Arbeiter-Turn-und-Sportbundes
berufen. 1926 war Werner Seelenbinder mit sechs Siegen
erfolgreicher Teilnehmer am Arbeiter-Turn-und-Sportfest in Wien.
Dem folgten Turniere in Finnland und der Sowjetunion, wo er rasch
populär wurde.
Seit 1928 war er Mitglied der KPD und verhehlte seine politische
Gesinnung auch nach der Machtübergabe an die deutschen
Faschisten nicht. Noch 1933 wurde er ins
»Columbiahaus«, eine Folterstätte der Nazis,
eingeliefert, entging aber dank seines sportlichen Ruhms
längerer Haft. Das gegen ihn ausgesprochene Startverbot wurde
wieder aufgehoben, und 1935 wurde er erneut deutscher Meister, kam
in die Olympiaauswahl von 1936. Er schloß sich in dem
Betrieb, in dem er als Transportarbeiter tätig war, einer
Widerstandsgruppe an, half bei Druck und Verteilung illegaler
Schriften und sammelte Gelder für die »Rote
Hilfe«. Bei den Olympischen Spielen erreichte er einen
vierten Platz, die geplante Aktion, als Medaillengewinner per
Rundfunk zu demonstrieren, kam nicht zustande – die
Verbindungsleute wurden unmittelbar vor dem Wettkampf
verhaftet.
Seine Verhaftung am 4. Februar 1942 war mit einem illegalen Auftrag
verbunden: Er hatte einem Mitglied des Zentralkomitees der KPD ein
Ausweichquartier verschafft. Trotz Folter verriet Seelenbinder
nichts und wurde am 5. September vom Volksgerichtshof zum Tode
verurteilt. Am 24. Oktober 1944 wurde er in Brandenburg-Görden
enthauptet.(jW)
* Am Freitag, dem 30. Oktober, lädt die DKP
Berlin-Neukölln zu einer Filmveranstaltung in den
Salvador-Allende-Club, Jonasstr. 29, ein. Gezeigt werden die
Dokumentation »Ein Ringer gegen Hitler« (BRD 2004)
sowie der Spielfilm »Einer von uns« (DDR 1960)