27.10.2009 / Schwerpunkt / Seite 3

Biographisches: Werner Seelenbinder

Er mußte früh mit zupacken. Des Vaters Lohn als Maurer und später als Gelegenheitsarbeiter in Berlin reichte nicht aus, die kinderreiche Familie zu ernähren. Die Mutter betrieb ein kleines Gemüsegeschäft in einer Arbeitergegend, wo die Seelenbinders wohnten. Der am 2. August 1904 als zweites Kind geborene Werner ging ihr frühzeitig zur Hand, übernahm Botengänge und Transportarbeiten, soweit seine Kräfte ausreichten. Not litt die Familie nicht, wenn auch jeder Groschen umgedreht werden mußte. Heute wird in solchen Fällen von »Unterschicht« oder »Prekariat« geschwatzt.

Der Vater wurde im Ersten Weltkrieg eingezogen, die Mutter starb 1915. Großmutter und Enkel erhielten das Geschäft aufrecht. 1917 trat Werner einem Arbeiter-Athleten-Verein bei und fand am Ringen Gefallen. In den 20er Jahren erzielte er erste nationale und internationale Erfolge, wurde in die Ringerländermannschaft des Arbeiter-Turn-und-Sportbundes berufen. 1926 war Werner Seelenbinder mit sechs Siegen erfolgreicher Teilnehmer am Arbeiter-Turn-und-Sportfest in Wien. Dem folgten Turniere in Finnland und der Sowjetunion, wo er rasch populär wurde.

Seit 1928 war er Mitglied der KPD und verhehlte seine politische Gesinnung auch nach der Machtübergabe an die deutschen Faschisten nicht. Noch 1933 wurde er ins »Columbiahaus«, eine Folterstätte der Nazis, eingeliefert, entging aber dank seines sportlichen Ruhms längerer Haft. Das gegen ihn ausgesprochene Startverbot wurde wieder aufgehoben, und 1935 wurde er erneut deutscher Meister, kam in die Olympiaauswahl von 1936. Er schloß sich in dem Betrieb, in dem er als Transportarbeiter tätig war, einer Widerstandsgruppe an, half bei Druck und Verteilung illegaler Schriften und sammelte Gelder für die »Rote Hilfe«. Bei den Olympischen Spielen erreichte er einen vierten Platz, die geplante Aktion, als Medaillengewinner per Rundfunk zu demonstrieren, kam nicht zustande – die Verbindungsleute wurden unmittelbar vor dem Wettkampf verhaftet.

Seine Verhaftung am 4. Februar 1942 war mit einem illegalen Auftrag verbunden: Er hatte einem Mitglied des Zentralkomitees der KPD ein Ausweichquartier verschafft. Trotz Folter verriet Seelenbinder nichts und wurde am 5. September vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Am 24. Oktober 1944 wurde er in Brandenburg-Görden enthauptet.(jW)

* Am Freitag, dem 30. Oktober, lädt die DKP Berlin-Neukölln zu einer Filmveranstaltung in den Salvador-Allende-Club, Jonasstr. 29, ein. Gezeigt werden die Dokumentation »Ein Ringer gegen Hitler« (BRD 2004) sowie der Spielfilm »Einer von uns« (DDR 1960)

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