08.10.2009 / Leserbriefe / Seite 14
»Aufgabe der SPD? Ach ja, den Einfluß des Kapitals auf die Arbeiterklasse zu gewährleisten.«
Schlag ins Gesicht
Zu jW vom 5. Oktober: »Aufmarsch statt Abzug«
Ich hatte ja erst gedacht, das wäre ein Schreibfehler in dem
Beitrag der jungen welt, daß Bodo Ramelow in einem Interview
mit der Welt am Sonntag die folgenden Sätze zum Abzug der
Nato-Krieger aus Afghanistan gesagt haben soll: »Uns geht es
nicht um einen sofortigen Abzug. Das wäre wie eine Flucht
damals aus Vietnam.« Aber es stand da wirklich so in dem
Interview. Der Autor des jW-Beitrages bezieht sich allerdings
negativ nur auf diese Äußerung von Ramelow
bezüglich der bisherigen Aussagen der Partei Die Linke zum
Afghanistan-Krieg. Viel gravierender ist aber diese Aussage in
bezug auf Vietnam und den Vergleich mit dem derzeitigen Afghanistan
(er meint den Vergleich wahrscheinlich nur als »linker
Militärstratege«). Er nimmt doch tatsächlich in dem
Satz »Das wäre wie eine Flucht damals aus Vietnam«
die Position des US-Aggressors ein, der ja fliehen mußte,
weil die FNL, die Befreiungsbewegung, gesiegt hatte. Zum Glück
fliehen (gehen) mußte. (...) Diese Äußerung ist
ein Schlag ins Gesicht für die Opfer (die es ohne US-Krieger
so und in diesem grauenhaften Umfang nicht gegeben hätte),
für alle Vietnam-KriegsgegnerInnen, für alle, die gegen
Kolonialismus und Neokolonialismus standen und stehen, und für
die linke Friedensbewegung. Bodo Ramelow scheint den Abzug bzw. die
Flucht der US-Kriegsverbrecher zu bedauern, denn so etwas soll
nicht wieder passieren. Hat er vergessen, daß es in diesem
Krieg über zwei Millionen vietnamesische Opfer gab (vorher
gegen die französische Kolonialmacht bereits drei Millionen),
hat er das Napalm und das Gift Agent orange vergessen und daß
viele Kinder heute noch mit Schädigungen geboren werden?
Wären die USA mal früher aus Vietnam
»geflohen«, es wäre Millionen Menschen viel Leid
erspart geblieben und Vietnam nicht in die »Steinzeit
zurückgebombt« worden.
Aber für eine Partei Die Linke, die gern die Poltik von Willy
Brandts SPD wieder betreiben möchte, ist natürlich ein
solche Sicht der Dinge nicht ungewöhnlich. Schließlich
war die BRD mit der SPD damals Partnerin auf seiten der USA nicht
nur gegen die Befreiungsbewegung FNL in Vietnam, sondern auch im
Kampf der rechtsextremen Mudschaheddin und der Taliban und aller
Osamas Bin Ladens gegen die Demokratische Republik in Afghanistan
(DVA), die erstmals versucht hatte, so etwas wie Zivilisation und
Frauenrechte in Afghanistan zu etablieren. Sie wurden allerdings
von außen durch u. a. aus Pakistan und Iran kommende Krieger
mit Unterstützung von Carter/Reagan (USA) und SPD daran
gehindert, so daß der letzte Präsident der DVA von ihren
Freiheitsfreunden 1992 in Kabul öffentlich aufgehangen wurde.
(...)
Roland Wanitschka, Eisenach
Am Schrumpfen
Zu jW vom 6. Oktober: »SPD im Trend«
Betrachtet man die Entwicklung in der SPD, so wird alles getan, um
diese Partei in die Bedeutungslosigkeit zu lenken. Die
Kandidatenkür greift der Entwicklung eigentlich nur vor,
Zirkelbildung ist angesagt, und in Thüringen wurde gerade der
letzte Funke linker Identität verschenkt. Nicht ganz, in
Brandenburg gibt es noch Verhandlungen, und es ist noch keine
Entscheidung über eine mögliche Koalition gefallen.
(...)
Zu denken gibt dieses der SPD scheinbar nichts, da wird sich lieber
zurückgezogen, die eigene Basis nicht nur hintergangen,
sondern auch übergangen und sich im Zirkelwesen geübt.
Andererseits, wer braucht denn noch die alte SPD, eine neue Partei
steht bereit, derselben Traditionslinie entsprungen. (...)
Und welche Aufgabe hatte die SPD eigentlich zu erfüllen? Ach
ja, den Einfluß des Kapitals auf die Arbeiterklasse zu
gewährleisten. Dafür ist sie zu weit nach rechts
gerutscht, so verabschieden sich nach und nach die Anhänger
aus dem linken Spektrum in Richtung Linkspartei, und der Gegenpart
wendet sich direkt dem Original zu, was bleibt, ist ein
bißchen Mitte, und die ist eh am Schrumpfen!
Th. Loch, per E-Mail
Keine Vorteile
Zu jW vom 5. Oktober: »Nötigung«
Werner Pirkers knapper, aber dennoch sehr aussagekräftigen
Einschätzung des zweiten irischen Referendums – nunmehr
für den Lissabon-Vertrag – stimme ich
uneingeschränkt zu. Wir alle können gespannt sein, welche
Folgen diese manipulierte Zustimmung für die EU-Staaten und
vor allem für ihre Bürger haben wird. Fakt ist, daß
bislang keine sichtbaren Vorteile für die EU-Bürger
auszumachen sind, ja, nicht einmal eine größere
Ausgewogenheit zu beobachten wäre. Jeder aber weiß,
welche Unsummen an finanziellen Mitteln die Brüsseler
EU-Bürokratie bisher verschlungen hat und das künftig
weiter tun wird. Geld, das den EU-Staaten einfach verloren geht.
Und daß die Brüsseler Bürokraten gar die
gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise mindern oder gar
steuern könnte, daran glaubt niemand ernsthaft – im
Gegenteil. Unter diesem Aspekt war das irische Votum in erster
Linie ein Votum für ein »Weiter so!«, also
für einen noch deutlicheren neoliberalen Wirtschaftskurs. Und
darüber soll sich der »kleine« Bürger
freuen?
Die Umverteilung des von den arbeitenden Menschen geschaffenen
Volksvermögens von unten nach oben wird nun radikal
weitergehen. Wir haben schon heute einen Zustand erreicht, der die
sozialen Spannungen vehement wachsen läßt. Dieser Trend
dürfte sich jetzt nachhaltig fortsetzen. Erstaunlich dabei
ist, daß längst auch die Kirchen, die neben den
Gewerkschaften eigentlich als soziales Gewissen in der Gesellschaft
für den Ausgleich sorgen sollten, restlos gleichgeschaltet
sind. (...)
Martin Runow, per E-Mail
Steigerung der Ausbeutungsrate
Zu jW vom 5. Oktober »BRD: Immer weniger
Überstunden«
Wie es im Artikel dann auch heißt, geht es um die bezahlten
Überstunden. Allerdings suggeriert die Überschrift,
daß die Deutschen immer weniger Überstunden arbeiten,
wobei doch das Gegenteil der Fall ist. Leider wurde hier
wahrscheinlich die Agenturmeldung ungeprüft übernommen.
(...)
Es handelt sich bei dem Phänomen ja um einen Aspekt der
Steigerung der Ausbeutungsrate, was viel zu wenig thematisiert
wird. Heute steht in vielen Arbeitsverträgen, egal in welcher
Branche, gleich ein Passus zur Verpflichtung von unbezahlten
Überstunden in ungenannter Zahl. Einen Anfang machte hier
schon vor Jahren zumindest die Landesregierung NRW, die ihre
LehrerInnen präventiv auf wöchentlich drei
Unterrichtsstunden unbezahlte Mehrarbeit bei drohendem
Unterrichtsausfall festlegte. (...)
Karla Leonartz Aksu, Voerde
https://www.jungewelt.de/artikel/132708.aufgabe-der-spd-ach-ja-den-einfluß-des-kapitals-auf-die-arbeiterklasse-zu-gewährleisten.html