Die Notwendigkeit einer linken Tageszeitung, die sich bei der
Beschreibung und Analyse von Geschichte und Gegenwart der
Instrumente bedient, wie sie etwa von Marx, Engels und Lenin
entwickelt wurden, liegt auf der Hand. Und daß so eine
Tageszeitung ihre Existenz nicht über Anzeigen finanzieren
wird, auch. Wenn aber auch keine Kirche, Organisation oder Partei
Gelder für Investitionen, für die Liquidität und die
Bilanzsicherung zur Verfügung stellt, wer kommt dann für
die Kosten auf, die nicht durch Einnahmen gedeckt werden, zumal
keine Bank so ein Unternehmen für kreditwürdig
hält?
Als die Produktion der Tageszeitung junge Welt im April 1995 nach
48 Jahren eingestellt wurde, glaubte zunächst noch nicht
einmal die Belegschaft, daß daran was zu drehen sei. Auch
eine Tageszeitung ist gegenwärtig kapitalistischen
Verwertungsregeln unterworfen. Und hätten die damaligen
Eigentümer noch Möglichkeiten gesehen, mit der jungen
Welt Profite zu realisieren – sie hätten ohne Zweifel
mit dem Konkurs noch etwas gewartet. Also wurden Verluste
maximiert, die Leserinnen und Leser nochmals abkassiert und dann
das Ende der jungen Welt beschlossen.
Der damalige Betriebsrat verkündete umgehend, daß
weitergemacht wird. Weitermachen kostet aber Geld. Das notwendige
Stammkapital für die Gründung einer GmbH (dem Verlag 8.
Mai GmbH) und für eine erste Druckrechnung konnte gerade noch
aufgebracht werden. Wer aber sichert die ökonomischen
Grundlagen des Verlages langfristig? In dieser Situation entstand
die Idee, ein gemeinsames Projekt zu starten. In der Bundesrepublik
stehen jedoch keine gesetzlich verankerten Unternehmensformen zur
Verfügung, die dem Bedürfnis entsprechen,
gemeinschaftlich zu produzieren und kollektiv über die
Ergebnisse dieser Arbeit zu verfügen. Es gab Zeiten, in denen
die Grünen versuchten, einen entsprechenden Gesetzestext im
Bundestag einzubringen. Heute wollen sie nichts mehr davon wissen.
Aber selbst wenn es solch eine Form gäbe: Der Zwang,
kapitalistische Gesetzmäßigkeiten zu beachten,
würde dadurch nicht aufgehoben, solange der Kapitalismus nicht
abgeschafft ist. Mangels anderer Möglichkeiten beschlossen wir
deshalb 1995, eine Genossenschaft zu gründen. Obwohl die
Chefin der Bank für kleine und mittlere Unternehmen dies
für altmodisch hielt und uns zur Gründung einer
nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft – also
organisiert wie ihre Bank – riet. Ihre Bank ist mittlerweile
bankrott, und wir sitzen mit unserer Genossenschaft in den
ehemaligen Räumlichkeiten dieser Bank.
Trotzdem gab es berechtigte Gründe für die Skepsis der
Bankdirektorin. Oft existieren Genossenschaften nur, solange sie
ökonomische Probleme haben. Sobald sie Überschüsse
erwirtschaften, werden sie privatisiert. Realisierbare Gewinne
werden auf Dauer nicht einer Genossenschaft überlassen. Dieser
Erfolgs- und Anpassungsdruck – und das meint im Kapitalismus
immer auch den Zwang, Gewinne zu erwirtschaften – führt
dazu, daß Genossenschaften sehr schnell von ihren
ursprünglichen Zielen Abstand nehmen. Aus
Wohnungsgenossenschaften, die neue Formen des Zusammenlebens
ausprobieren wollten, werden Zwangsverwaltungen des
bürgerlich-familiären Wohnglücks.
Produktivgenossenschaften, die mit dem Anspruch angetreten sind,
Arbeit gleichberechtigt zu organisieren, mutieren zu effektiven
Unternehmen mit klaren hierarchischen Macht- und Besitzstrukturen.
Politische Genossenschaftsprojekte scheitern schließlich
meistens, weil sie ökonomisch nicht funktionieren oder die
Genossinnen und Genossen sich nach kurzer Zeit zerstreiten.
Meistens kommt beides zusammen.
Wir gingen das Risiko ein und initiierten parallel zum Verlag 8.
Mai GmbH die LPG junge Welt eG. Die Bildung einer Genossenschaft
setzt aber viele Monate Behördenkampf voraus. Während der
Verlag noch im April 1995 agieren konnte, fand der
Gründungsakt der Genossenschaft erst am 7. Oktober 1995 statt.
Erst jetzt konnten wir damit beginnen, Anteile zu sammeln, um den
Zweck der Genossenschaft zu erfüllen. 1998 war ein Minimum an
Kapital zusammen, um die Mehrheit am Verlag 8. Mai zu
übernehmen. Seither sind die Mitglieder der Genossenschaft LPG
junge Welt eG Herausgeber der Tageszeitung junge Welt. Von Anfang
an war aber auch klar, daß die junge Welt kein
basisdemokratischer Betrieb sein kann. Zum einen, weil die
politische Linie des Blattes nicht ständig unterschiedlichen
Abstimmungsergebnissen angepaßt werden sollte. Zum anderen
aber auch, weil sich unternehmerisch notwendiges Handeln nicht
immer nach Mehrheitspositionen richten kann. Unter den gegebenen
Verhältnissen existiert eine Zeitung wie die junge Welt nur
auf Dauer, wenn sie die Aufwendungen, die sie verbraucht,
selbständig erwirtschaftet. Die Rechnung muß also auch
im kapitalistischen Sinne aufgehen. Keine Basisdemokratie
heißt, daß unsere unabhängige Chefredaktion nach
dem Chefredakteursprinzip die Zeitung inhaltlich leitet. Und die
Geschäftsführung ist zum umfassenden Handeln befugt. Der
Geschäftsführer wird aber vom Vorstand der Genossenschaft
bestellt, der wiederum von der Versammlung der Mitarbeitenden
Genossinnen und Genossen gewählt wird. Für die Kontrolle
ist der Aufsichtsrat zuständig, den die Generalversammlung der
Genossenschaft wählt. Der Aufsichtsrat kann den Vorstand
absetzen (was dann allerdings von einer Generalversammlung
bestätigt werden muß). Die Belegschaft hat weitgehende
Mitwirkungsmöglichkeiten, und die mitarbeitenden Genossinnen
und Genossen haben besondere Rechte. Dieses System hat uns bisher
über alle Konflikte und Klippen gerettet und sich als sehr
effektiv herausgestellt.
Vor allem ist es uns gelungen, den zentralen Zweck der
Genossenschaft nie aus den Augen zu verlieren. Jedes auf dem
kapitalistischen Markt agierende Unternehmen braucht in bestimmten
Phasen zusätzliche Mittel zur Vorfinanzierung von
Investitionen, zur Deckung von Liquiditätslücken und zur
Sicherung der Bilanz. Die junge Welt kann ihre Potentiale, die sie
als kleinste der überregionalen Tageszeitungen in der BRD hat,
nur dann ausschöpfen, wenn sie zum täglichen
Geschäft auch Kampagnen und Aktionen, Investitionen und
Projekte finanzieren kann. Mittel, die nicht kurzfristig, sondern
bestenfalls über Monate und Jahre hinweg refinanziert werden.
Krisen können wir nur durchstehen, wenn nicht aufgrund
formaler Vorschriften schon mit der ersten Finanzierungslücke
Konkurs angemeldet werden muß. Auf dieser Grundlage baut das
Prinzip unserer ökonomischen Organisation auf. Ziel ist es
zunächst, die Kosten für die tägliche Produktion der
jungen Welt über die Abogebühren und andere
Einnahmequellen des Verlages zu erwirtschaften. Die Gelder der
Genossenschaft werden vor allem gebraucht, wenn größere
Investitionen nötig sind (für Technik, einen Umzug oder
Personalerweiterung zum Beispiel), wenn
Liquiditätsengpässe auftreten (weil die Haupteinnahmen
über Abonnements je nach Monat sehr unterschiedlich zur
Verfügung stehen) oder wenn die Bilanz zu viele Verluste
verkraften muß. In diesem Fall gibt die Genossenschaft eine
sogenannte Rangrücktrittserklärung für Teile ihrer
Kredite an den Verlag ab, um eine Überschuldung zu vermeiden.
Nur weil die Genossenschaft diesen Aufgaben immer wieder gerecht
werden konnte, existiert die junge Welt heute noch.
Um den kommenden Aufgaben in den sich zuspitzenden
Klassenauseinandersetzungen gewachsen zu sein, braucht die junge
Welt und damit die Genossenschaft allerdings eine neue Stärke.
Hinzu kommen Veränderungen auf dem Medienmarkt, die auch
für die junge Welt eine Herausforderung darstellen. Die
zunehmenden Krisenerscheinungen haben auch auf Verlag und Zeitung
ihre Auswirkungen. Wenn es uns nicht gelingt, den Bestand an
bezahlten Print- und Onlineabos in den nächsten Jahren
deutlich zu erhöhen, wird man diese kleine Zeitung gnadenlos
unterbuttern. Für herkömmliche Wege, unsere Zeitung auf
dem Markt zu plazieren, fehlen uns nicht nur die Millionenetats,
sie werden auch von der bürgerlichen Öffentlichkeit
verbaut. Sie erwähnen die junge Welt im
Verfassungsschutzbericht oder denunzieren sie in ihrer
Berichterstattung – nicht ohne Absicht, nicht ohne Wirkung.
Wir sind oft zu schwach, um dagegenhalten zu können. Und die
linken Bewegungen im Land stehen erst am Anfang und verfügen
daher noch nicht über eine selbstbewußte, offensive
Gegenkultur. Aber ohne eigene Strukturen, ohne eigene Kultur, die
uns unabhängig vom bürgerlichen Betrieb machen, werden
sich linke Projekte, Parteien und Zeitungen nicht durchsetzen
können. Die Entwicklung unseres Abobestandes und die Zahl der
Genossinnen und Genossen, die Anteile unserer Genossenschaft
zeichnen, sind daher auch ein Gradmesser für die Entwicklung
des Klassenbewußtseins im Lande. Sie sind aber vor allem
materielle Voraussetzung dafür, daß die junge Welt
weiter an Qualität und Einfluß gewinnt.
Es hat 15 Jahre gedauert, bis 1000 Genossinnen und Genossen unserer
LPG beigetreten sind. Daß dies überhaupt gelingt,
hätten wir uns bei der Gründung nicht träumen
lassen. Heute aber sind wir selbstbewußter und auch
kritischer: Es ist schon erstaunlich, wie schwer es sich die Linke
in Deutschland macht, ihre eigene Kultur, ihre eigene Zeitung, ihre
eigene Genossenschaft aufzubauen. Was sind schon 1000 Genossinnen
und Genossen bei den Aufgaben, die vor uns stehen? Jedem
Gewerkschafter, jedem Kämpfer der Antifa, jedem Mitglied einer
linken Partei, allen, die in Bewegungen kämpfen und
überhaupt alle, die für eine andere Gesellschaftsordnung
eintreten, brauchen eine unabhängige linke Tageszeitung und
die Genossenschaft, die ihre Existenz sichert. Und deshalb brauchen
wir Ihr Abo, aber auch Ihren Genossenschaftsanteil.
Werden
Sie Herausgeber der jungen Welt.
Der Beitrag stammt aus unserer aktuellen Broschüre
»Unsere Zeitung. Unsere Kultur. Unsere
Genossenschaft«.
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