09.05.2009 / Aktion / Seite 16
Auf das Wesentliche konzentrieren
Dietmar Koschmieder
Die Zeitungsbranche rätselt schon seit mehreren Jahren, wie
sie Auflagenverfall, veränderter Mediennutzung und Verlagerung
von Anzeigenvolumen in andere Medienbereiche begegnen kann. In den
USA löst man das Problem realkapitalistisch: Tageszeitungen
werden reihenweise eingestellt, weil sie aus den genannten
Gründen keine oder keine ordentliche Rendite mehr abwerfen.
Hierzulande sucht man das Glück in Verkleinerung des Formats,
bunten Farben, frechen Titelseiten, Verschlankung des
redaktionellen Angebots. »Klein, bunt,
übersichtlich« titelte die Berliner Zeitung einen
Bericht über die Branchenkrise und Projekte »einer der
größten Zeitungsberatungsfirmen der Welt« am
Donnerstag dieser Woche. Als zukunftsweisendes Modell wird von der
Berliner Zeitung dabei auf die Frankfurter Rundschau verwiesen, die
vor zwei Jahren auf das kleine sogenannte Tabloid-Format
geschrumpft worden sei. Viel genutzt hat es der Zeitung allerdings
nicht: Der dramatische Auflagenverfall der Vorjahre konnte zwar
etwas gebremst werden. Aber keineswegs wurde damit die alte Form
wiedergefunden: Vom ersten Quartal 2003 bis zum ersten Quartal 2009
sank der Abobestand der Frankfurter Rundschau von 120000 auf 84000
Exemplare und der Einzelverkauf von 37000 auf 21000 Exemplare (laut
IVW-Statistik).
Das Konzept des Schweizer Zeitungsberaters Carlo Imboden sieht da
anders aus: Er empfiehlt eine Konzentration auf das Wesentliche,
auf Hintergrund, Analyse, längere Artikel. »Meldungen,
die sie am Vortag schon im Internet gelesen oder in der Tagesschau
gesehen haben, sind überflüssig.« Wir junge
Welt-Zeitungsmacher halten letzteres nicht für
überflüssig, immerhin hat die Tageszeitung auch
Chronistenpflicht zu erfüllen. Aber die Stärken der
jungen Welt sind tatsächlich Hintergrundberichterstattung,
Analyse, längere Artikel – und klare, nachvollziehbare
Positionierung. Der Leser muß keineswegs die Meinung unserer
Autoren teilen. Aber der Autor verschweigt nicht, daß er eine
hat, daß die Informationen durch seinen Kopf gegangen sind,
von ihm ausgesucht, beurteilt und bewertet wurden. Deshalb sind
auch nahezu alle Beiträge in der jW mit Autorennamen versehen.
Und da die junge Welt sich zwar klar positioniert, trotzdem aber
auch unterschiedliche Sichtweisen zuläßt, gibt es
innerhalb unserer Belegschaft und der Leserschaft zu diversen
Themen unterschiedliche Standpunkte.
Leichtere Kost mag schneller verdaulich sein und
möglicherweise einen höheren Unterhaltungswert haben.
Für den Printbereich gilt aber, daß genau solche
seichten und austauschbaren Angebote zunehmend
überflüssig werden und deshalb an Nutzwert und Auflage
verlieren. Einerseits kann sich die junge Welt in dieser Krise
deshalb gut halten. Andererseits wird deshalb aus dieser Zeitung
wohl kein Massenblatt werden. Ein paar tausend Abonnenten
zusätzlich wären aber schon recht nützlich, um die
junge Welt ökonomisch abzusichern und über Ressourcen
für die Weiterentwicklung der Zeitung zu verfügen.
https://www.jungewelt.de/artikel/124788.auf-das-wesentliche-konzentrieren.html