Die aktuellen Haftbefehle gegen die angeblichen RZ-Mitglieder
Sonja S. (76) und Christian G. (67) basieren auf Aussagen, die der
schwerverletzte Hermann F. gemacht haben soll. Dieser hatte sich im
September 1980 in einer Prozeßerklärung zu den
Umständen seines »Verhörs«
geäußert:
Während die Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien
in der Nähe vom Folterzentrum zu Ende kam und die
Bundesregierung zynisch die Aufnahme von 500 argentinischen
politischen Gefangenen versprach, explodierte mir ein Sprengsatz zu
Haus. Er war für das argentinische Konsulat in München
bestimmt. Ich verlor durch den Unfall beide Augen und Beine. Bis
heute hat die Bundesrepublik 20 freigelassene argentinische
Gefangene aufgenommen und mich klagt man – wie ich
gehört habe – vor Gericht an. Mir und zwei
mitangeklagten Frauen wird vorgeworfen, Mitglied der
Revolutionären Zellen zu sein. In dem geplanten Prozeß
soll die Sinnlosigkeit linksradikalen militanten Widerstands
vorgeführt werden. Wenn ich auch durch den Unfall nochmals
erfahren mußte, welches Risiko mit diesem Kampf verbunden
ist, so weiß ich auch, daß meine Ankläger, die
diesen Widerstand am liebsten nach Kabul schicken würden, eine
ganz andere Gewalt verteidigen: 20000 Tote forderte der
Militärputsch in kurzer Zeit in Argentinien. Heute sind
argentinische Gruppen und Berater in Bolivien dem putschenden
Militär behilflich. Die deutsche Kernkraftwerksunion
betreibt Atomgeschäfte mit Argentinien, und die
Bundesregierung segnet den Verkauf von Panzerwagen durch Henschel
(Kassel) an die argentinische Armee ab. (...)
Die Bundesrepublik ist in diesem System eine Metropole, und
hier zu leben heißt für jeden, sowohl Opfer als auch
Mitschuldiger zu sein in einem System, das jährlich Millionen
Hungertote fordert, denn wir leben hier nicht nur in diesen
Strukturen, wir leben auch von ihnen. Antiimperialistische Politik
heißt Aussbrechen aus diesem Status von halb Opfer, halb
Mitschuldiger, heißt nicht mehr ein Teil des Problems zu
sein, sondern Teil von dessen Lösung.
Es geht nicht um Bewunderung ferner Befreiungsbewegungen, sondern
um die Erkenntnis, daß der Angriff auf Institutionen
ausländischer Terrorregimes Teil unseres eigenen
Befreiungskampfes ist. Zur Zeit wachsender Kriegsdrohungen wird die
Notwendigkeit einer antiimperialistischen Bewegung immer
deutlicher, um eine existenzielle Bedrohung abzuwehren. (...)
Der Aufbau eines staatlichen Unterdrückungsapparates –
angefangen bei der materiellen und personellen Aufrüstung der
Polizei bis hin zur Errichtung von Hochsicherheitstrakten –
will verhindern, daß aus Revolten langfristig
sozialrevolutionäre Bewegungen werden. RZ haben sich an
den Auseinandersetzungen beteiligt, indem sie über
Demonstrationen und Bauplatzbesetzungen gegen AKW usw. hinaus
Möglichkeiten des Kämpfens zeigten. Ich finde diese Ideen
richtig, hatte jedoch am 23. Juni 78 den genannten Unfall. Damit
geriet ich beim Widerstand gegen die Verhältnisse in
Argentinien selbst quasi in argentinische Zustände. Polizei
und Bundesanwaltschaft sahen in meinem Zustand die Chance,
außerhalb von jeglicher Kontrolle ihr Problem RZ angehen
zu können.
Die Vernehmung lebensgefährlich Verletzter ist eigentlich
gesetzlich verboten. Aber was tut’s? Die beteiligten
staatlichen Organe haben in ihrer Bekämpfung von
Revolutionären schon längst die Gesetze, die ihre Macht
beschränken, praktisch auf die Müllhalde geworfen. Die
Morde in Stammheim, die Situation von Günter Sonnenberg,
der 2. Juni-Prozeß in Berlin zeigen die Brutalisierung der
Operationen gegen eine Fundamentalopposition, wenn sie nicht
»lieb« ist und sagt, daß sie es nicht wieder tun
will. Was die Bundesanwaltschaft bewegte und bewegt, ist einem
Zitat von Bundesanwalt Harms zu entnehmen: »Wir haben 70
Anschläge aufzuklären und keiner will’s
gewesen sein.«
Den derart jahrelang frustrierten Fahndern kam mein
lebensgefährlicher Zustand, die Traumatisierung nach der
Erblindung, meine völlige Hilfs- und
Orientierungslosigkeit gerade richtig. 1300 Seiten
Vernehmungsprotokolle, die von mir stammen sollen, sind Ergebnis
dieser Situation. Da werden dann auch Personen aus meiner damaligen
phantastischen Traumwelt in RZ-Zusammenhänge gebracht bzw. es
werden Personen belastet, die ich nie kannte. Um den
»Vernehmungen« ihre Fragwürdigkeit zu nehmen,
feierten dann die Staatsschützer in bezug auf mich in der
ihnen zur Verfügung stehenden Presse große Siege
über RZ, die sie real nie erzielt haben. Im Spiegel avancierte
ich gar zum Mittelpunkt von Ereignissen, die vom »Knallfrosch
bis zum Hijacking« (Spiegel 34/78) reichen.
Diese angeblichen Vernehmungsprotokolle sind für mich das
Ergebnis einer Behandlung, die den Namen Folter verdient. Ich halte
es für aberwitzig, Angaben daraus zu verwenden.
Aus: Die Früchte des Zorns. Texte und Materialien zur
Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora
(www.idverlag.com).