Gegen eine Lichtgestalt läßt sich schlecht
demonstrieren: Dem Protest gegen das NATO-Jubiläum fehlt das
Feindbild« heißt es in einem Beitrag der aktuellen
Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit. »Schuld ist Obama«,
erklärt schon die Überschrift. Selbst Die Rote Fahne
werfe mittlerweile die Frage auf: »Hat der US-Imperialismus
seinen Charakter geändert?« Das Wochenblatt verschweigt
aber nicht, daß die junge Welt das ganz anders sieht, und
zwar nicht erst seit dieser Woche: »Wir werden an
Heiligendamm anknüpfen«, lautet die Parole, mit der
Protestler zu Zehntausenden am ersten Aprilwochenende ins Badische
gelockt werden sollen. Wie vor zwei Jahren würden »die
Camps die Stützpunkte sein«, hieß es im Januar auf
der »Rosa-Luxemburg-Konferenz« der marxistischen
Tageszeitung Junge Welt, berichtet Die Zeit. Natürlich sieht
die junge Welt in Obama nicht den Friedensfürsten, der die
NATO umkrempeln wird. Solange es sie gibt, ist und bleibt dieser
brutale Militärapparat Instrument im Dienste der wichtigsten
Kapitalkreise der beteiligten Nationen, egal, wer dort gerade
regiert. Und die Verunsicherung dieser Kreise durch eine
fundamentale Krise macht die NATO auch nicht gerade
liebenswürdiger und berechenbarer. Schon in Zeiten des
scheinbar nimmer endenden kapitalistischen Wachstums hat dieses
Bündnis gewußt, wessen Interessen es zu dienen hat, und
sich knallhart auf soziale Auseinandersetzungen eingestellt.
»Gladio« hießen die Pläne damals, mit denen
man gegebenenfalls eine widerständige Bevölkerung in
Europa unterdrücken wollte. Wie diese Pläne heute
heißen, ist nur Eingeweihten bekannt; die NATO kann zum
Jubiläum aber auch jede Menge blutiger Praxis vorweisen
– die Förderung von Militärputschen wie in
Griechenland oder Kriege gegen Afghanistan oder Jugoslawien sind
nur einige Beispiele.
Wenn es trotz aller Klarheit über den Charakter der NATO
schwerer als üblich ist, zu den Protestkundgebungen zu
mobilisieren, liegt das daran, daß in Krisenzeiten –
neben dem Abbau sozialer Rechte – verstärkt
demokratische Grundrechte eingeschränkt werden. Schon das
militärische Agieren von Bundeswehr und Polizei
anläßlich der Proteste zum G-8-Gipfel in Heiligendamm
haben das unverhohlen signalisiert: Journalisten werden
rechtswidrig ausgesperrt, Demonstranten in ihrer Bewegungsfreiheit
behindert und, wenn sie doch durchkommen, in Käfigen
weggesperrt, Medien mit Lügen eingedeckt, die Bundeswehr
verfassungswidrig im Innern eingesetzt, letztlich werden auch Tote
in Kauf genommen. Die Botschaft war eindeutig. Der
Sicherheitsaufwand, der nun zur NATO-Feier im April betrieben wird,
wirke noch eine Spur absurder als an der Ostsee, meint selbst Die
Zeit im obengenannten Beitrag. Da werden nicht nur
»Städte zu Hochsicherheitstrakten«, wie lokale
Medien berichten, sondern auch Flüsse und Straßen,
Brücken und Lufträume gesperrt und militärisch
gesichert. Und wenn im Vorfeld der zuständige
Landespolizeipräsident ganz offiziell klarstellt, daß er
Demonstranten als zu selektierende und dann zu verarbeitende Masse
betrachte, drückt er damit unmißverständlich aus,
was er von Grundrechten wie dem auf freie
Meinungsäußerung oder dem auf Versammlungsfreiheit
hält – und in welcher Tradition er sich und sein Amt
sieht. Es wird Krieg geführt gegen die Demonstranten. Und wie
üblich fängt der im Vorfeld mit Verboten,
Einschränkungen, Einschüchterung und Desinformation an.
Damit die Menge, die dann noch »zu verarbeiten« bleibt,
möglichst gering ist.
Und trotzdem wird es phantasievolle, vielfältige und wirksame
Proteste gegen die NATO vor Ort geben. Gerade weil klar ist, wem
die NATO nutzt und wem nicht. Und weil der Kampf gegen die NATO
nicht nur einer gegen Militarisierung und Krieg ist, sondern auch
gegen den Abbau demokratischer Grundrechte und für eine neue
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die junge Welt wird diesen
Kampf mit ihren Mitteln unterstützten. Und das sind vor allem
journalistische. Neben der täglichen Printausgabe mit
Informationen und Analysen, die Sie so woanders nicht finden,
nutzen wir vom Mittwoch, den 1.April, bis zum Sonntag, den 5.April,
unsere Internetausgabe für zusätzliche Berichterstattung.
Unsere Onlineausgabe widerspiegelt in diesen Tagen also nicht nur
das reichhaltige Angebot der Printausgabe, sondern liefert
darüber hinaus weitere aktuelle Nachrichten, Berichte und
Kommentare. Dabei nutzen wir nicht nur die offiziellen
Informationsquellen wie Tickermeldungen der Nachrichtenagenturen
und Pressemitteilungen. Wir haben Reporter vor Ort und ein Netz von
Informationsquellen aufgebaut. Das Ergebnis dieser Bemühungen
finden Sie unter
www.jungewelt.de/no-nato.de,
und hier können Sie sich auch selbst zu Wort melden.
Es gibt einen weiteren wichtigen Unterschied zu den Protesten vor
zwei Jahren in Heiligendamm und ihren Folgen: Nach den
Anti-NATO-Aktionen im April wird die Protestbewegung weitergehen.
Zum Beispiel mit den Kundgebungen zum Ersten Mai, den
internationalen Protesttagen am Samstag, den 16. Mai, und den
Schülerprotesten im Juni. Es hilft den Polizeipräsidenten
von Baden-Württemberg oder Frankreich also nicht, einfach
alles niederhauen zu lassen, was sich nicht willig ihren Vorgaben
unterwirft, um so Ruhe im Land herzustellen. Denn ihre
Polizeiknüppel ändern nichts an den Ursachen der
Proteste. Wie die Ereignisse in Heiligendamm gezeigt haben und die
im badisch-elsässischen Raum zeigen werden, braucht es zur
Entwicklung der eigenen Protestkultur aber auch ein
unabhängiges und wirkungsvolles Protestmedium.
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