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Aus: Ausgabe vom 07.09.2007, Seite 5 / Inland

Wedel: Was wäre, wenn...: ich der V-Mann gewesen wäre?

Dann wäre ich heute der, der in den Zeitungen, in den aufregenden Berichten vom »Zugriff«, immer als »ein Dritter« bezeichnet wird: »Ein Dritter war zunächst durch das Badfenster entkommen«. Das wäre natürlich als kleiner Gag am Rande so ausgemacht gewesen. Man kann nicht den größten Sieg über das Böse seit dem Tod der RAF erringen wollen und das dramatische Geschehen in der Anbauküche spielen lassen – »kann ich bitte mal die Brombeermarmelade?«. Nein, so ein kleines Handgemenge im Nachbarsgarten unter den Birnbäumen macht sich gut. Schon für eine spätere Verfilmung als Zweiteiler der ARD und Arte unter dem Titel »Die Frau von Oberschledorn« mit Veronica Ferres in der Titelrolle. (Weiß ich auch, daß eine Frau gar nicht dabei war. Aber was soll’s, wenn die Ferres besetzt werden muß!)

Wenn ich der V-Mann – von der linken Tendenz- und Kampfpresse gern Agent provocateur genannt – gewesen wäre, hätte ich unter dem Badfenster zu einem Beamten gesagt: »Paß auf, du bist zu fett, mir hinterherzurennen. Ich gehe dir jetzt unvermittelt ans Holster, und wir rangeln ein bißchen um deine Dienstpistole, und dann lösen wir einen Schuß – aber nicht in Richtung Markt, denn da steht schon der Bürgermeister mit einigen Herren von der Lokalzeitung. Dann hat es wenigstens einmal geknallt nach der ganzen Scheiße hier.«

Das Schwierigste bei meiner Operation als V-Mann wäre gewesen – vom absoluten Alkoholverbot und der totalen sexuellen Abstinenz einmal abgesehen – ,die endlosen Diskussionen und das ewige religiöse Gebrabbel der beiden anderen Faserbärte auszuhalten, die in der Presse mit Namen wie Franz und Gert oder Hans und Fritz bezeichnet werden. Ich bin da zwar von der SED-Kreisparteischule Ronneburg einiges gewöhnt, die ich 1982 mit gutem Erfolg absolvierte. Aber diese krümeligen ideologischen Debatten unter dem Thema »Der Islamismus ist richtig, weil er wahr ist« oder »Kann man im Himmel seine Ration von zehn Jungfrauen auch gegen kubanische Zigarren eintauschen?« haben mich mehrmals fast zur Aufgabe gezwungen. Nur der ungeheure Fahndungsdruck der 300 Polizisten, die seit Wochen unauffällig hinter Stachelbeersträuchern lagerten und den Flachmann kreisen ließen, motivierte mich durchzuhalten.


Besonders hoch her zwischen uns dreien ging es, als die Anschlagziele zu bestimmen waren. Ich wäre dafür, Dresden in Schutt und Asche zu legen (auch wegen möglicher späterer Verfilmungen mit Veronica Ferres unter dem Titel »Stadt der Angst«). Sollte die Bombe kleiner ausfallen, wäre ich auch mit der Birthler-Behörde einverstanden gewesen. Mit einem Attentat auf das Oberschledorner Rathaus konnte ich mich bis zum Schluß nicht anfreunden. Das wäre schief gegangen, denn die Zeiten der Bürgersprechstunden werden dort fast nie eingehalten, bzw. es kommt kein Aas, und wir drei hätten uns ganz alleine sprengen müssen.

Leicht wäre der Job nicht gewesen, wenn ich der V-Mann gewesen wäre. Die unförmigen Kanister mit Blondierungsmitteln kaufte ich beim »Friseur für die Frau« in Willingen. Franz und Gert waren zwar der Meinung, das müsse doch auffallen, insbesondere, weil ich die Dinger mit dem fahrplanmäßigen Linienbus nach Hause brachte. Aber ich konnte sie beruhigen. Das Zeug aber nachts langsam abzulassen und Wasser in die Behälter zu füllen, hat mich viel Schlaf gekostet. Ein zweites Problem entstand, als es im Fernsehen hieß, Schäuble könne E-Mails mitlesen. Da wollten Fips und Max plötzlich nicht mehr nach Afghanistan mailen. Aber wie schon »unser Terrorexperte Elmar Thewesen« am Mittwoch im ZDF erzählte, »wichen die Terroristen auf raffiniertere Methoden der Nachrichtenübermittlung aus«: Ich steckte die Briefe der Jungs an Osama in einen Postkasten am Rathaus, der mit der Aufschrift »Nur für Wurfsendungen nach Afghanistan« für die übrige Bevölkerung gesperrt war.

Tja, und eines Morgens hörte ich in meinem Ohrstöpsel »Wir kommen jetzt rein. Der Schäuble will nicht bis zum 11. September warten«. Das paßte mir gar nicht – wir saßen beim Frühstück und hatten für den Abend ein Schaf in der Röhre. Ich legte den Eierlöffel auf den Teller, nahm noch einen Schluck Kaffee und sprang mit einem »tschüs, war nett mit euch!« aus dem Badfenster. Mehr war nicht, wirklich nicht. Der Rest, den man sonst so liest und hört, ist Angeberei.