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Aus: Ausgabe vom 30.12.2006, Seite 16 / Aktion

Übriggeblieben

Der Bezug auf revolutionäre Traditionen und Zukunftsperspektiven macht die Tageszeitung junge Welt unbeliebt und konkurrenzlos
Von Dietmar Koschmieder
Grafik von Thomas J. Richter
Grafik von Thomas J. Richter
Liebe Leserinnen und Leser, zunächst möchten wir uns ganz herzlich für die zahlreichen Zuschriften zum Jahreswechsel bedanken, für den Zuspruch genauso wie für die freundliche Kritik. Unser Dank gilt auch allen, die uns in diesem Jahr unterstützt haben: Ohne Sie gäbe es dieses linke Netzwerk junge Welt nicht, das gerade deshalb überleben kann, weil es nicht ausschließlich den kapitalistischen Marktgesetzen unterworfen ist.

Was allerdings nicht heißt, daß wir diesen nicht doch ausgeliefert sind. Noch liegt der Jahresabschluß für den Verlag 8. Mai GmbH, in dem die junge Welt verlegt wird, nicht vor. Nach Jahren mit großen Verlusten können wir aber voraussichtlich mit einer nahezu ausgeglichenen Bilanz 2006 rechnen – trotz erheblicher Mehrkosten in diesem Geschäftsjahr. Das liegt daran, daß wir auf der Einnahme­seite ordentliche Zuwächse verbuchen konnten: Die Zahl der Kioskverkäufe ist gestiegen, der Bestand an bezahlten Abonnements (Print wie Internet) hat sich positiv entwickelt, die Anzeigen- und Shoperlöse haben erneut zugelegt. Auch unsere Genossenschaft LPG junge Welt eG konnte einen erfreulichen Zuwachs an Anteilen und Mitgliedern verzeichnen. Das alles bedeutet nicht nur Stabilisierung unserer ökonomischen Grundlagen, es ist auch Ausdruck dafür, daß die junge Welt an politischer Bedeutung gewinnt.

Das bemerken auch Gegner dieser Zeitung. Die junge Welt erlebt diverse Angriffe, gerade weil sie sich immer mehr als Bezugspunkt für unterschiedliche Linke entwickelt. Bürgerliche Medien nennen die junge Welt noch seltener als früher – und dann in der Regel nicht sachlich, sondern mit keifenden Bemerkungen versehen. Das reicht vom »Sammelbecken früherer DDR-Agenten« (Spiegel) über »Altstalinistenblatt« (Berliner Zeitung) bis zu »mediales Sprachrohr der alten Stasi-Obristen« und »übriggebliebenes Blättchen aus der DDR« (Frau Birthler im Deutschlandradio). Je mehr Beachtung und Auflage die junge Welt gewinnt (übrigens als einziges Blatt mit Ostwurzeln vor allem im Westen), desto unfreundlicher werden die Bemerkungen. Es ist nicht zufällig der Bezug zu fortschrittlichen und revolutionären Traditionen und Zukunftsperspektiven, den diese Zeitung für immer mehr Linke interessant macht. Und es ist in Wirklichkeit genau der gleiche Punkt, über den sich die Gegner aufregen: Da wagt es doch tatsächlich jemand, sich positiv auf die DDR zu beziehen! Da hält jemand Kapitalismus nicht für alternativlos, empfiehlt gar sozialistische Perspektiven, beruft sich eine Zeitung auf Marx, obwohl doch alle Welt weiß, daß der schon lange aber auch so was von tot ist.

Ein »übriggebliebenes Blättchen« würden die Gegner lächelnd ignorieren. Eines aber, das völlig unzeitgemäß die rote Fahne hochhält – und dabei auch noch Zuspruch findet, das paßt vielen ganz und gar nicht. Das läßt sich auch an den zahlreichen Prozessen ablesen, mit denen sich die junge Welt herumschlagen muß. Ob es sich da um den Ministerialdirigenten Gröger handelt, der nicht als privater Käufer der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals enttarnt werden will, oder um den hochrangigen BKA-Beamten, der sich zwar als Deutschlands wichtigster Terrorfahnder feiern, eine wahrheitsgemäße Berichterstattung über seine Prozesse gegen die junge Welt aber nicht erträgt und gerichtlich verbieten läßt: Mit Hilfe der Justiz soll wahrheitsgemäße Information der Öffentlichkeit verhindert werden. Denn die junge Welt wird längst nicht nur von einer kleinen Szene gelesen.


Was aber ist schon das Verbieten einzelner Berichte gegen das Verhindern der jungen Welt selbst. Auch da haben sich die Zeiten geändert: Das Verbot einer linken Zeitung unter fadenscheinigen Gründen ist nicht nur in anderen europäischen Ländern denkbar. Wahrscheinlicher jedoch ist der Versuch, so ein Projekt ökonomisch zu strangulieren. Auch hier spielen gerichtliche Auseinandersetzungen eine Rolle: Sie kosten viel Geld, und es ist jedesmal völlig unklar, wie sie ausgehen. Und sie können einen Verlag ohne starken finanziellen Hintergrund vernichten. Gerade weil ökonomische Gefahren auch an anderer Stelle lauern: Ständig steigende Kosten für Herstellung und Vertrieb zwingen die junge Welt zu wachsenden Einnahmen. Aber auch die Mindestabsicherung unserer Belegschaft: Für das kommende Jahr haben wir mit Betriebsrat und Tarifkommission vereinbart, zum ersten Mal die äußerst bescheidenen Gehälter und Zeilengelder um im Schnitt vier Prozent zu erhöhen. Dabei handelt es sich um Mehrbelastungen in Höhe von gut 40000 Euro pro Jahr. Hinzu kommen andere Preiserhöhungen wie für den Druck und Vertrieb der Zeitung. Für das erste Quartal steht ein Umzug an, Aboverwaltung und Aboservice werden in die eigene Hand genommen, der Verlag wird umgebaut. Alles kostenintensive Prozesse, die langfristig Stabilität bringen sollen, kurzfristig aber zu einer äußerst angespannten ökonomischen Situation führen. Ein verlorener wichtiger Prozeß kann da bereits entscheidend sein.

Deshalb werden wir im neuen Jahr die anspruchsvollste Kampagne in der Geschichte unseres Verlages durchführen. 60 Jahre alt wird diese »übriggebliebene Zeitung« im Februar 2007. Um 60 mal 60, also um 3600 Abonnements (Print wie Internet, aber auch Umsteiger auf eine höhere Preisklasse werden mitgezählt) soll unser Bestand anwachsen. Einerseits könnten wir an dieser Aufgabe scheitern. Aber nicht, weil wir diese nicht klar erkannt und in Angriff genommen hätten. Sondern weil sie einfach eine Nummer zu groß ist. Andererseits stehen die Chancen gar nicht so schlecht, sie zu meistern: Mit einem Produkt, das aufgrund der politischen Situation und mangels Alternativen dringend notwendig ist, einer Leserschaft, die sich sehr für ihre Zeitung engagiert und der Tatsache, daß es noch immer viele Menschen gibt, die diese Zeitung zwar bräuchten, aber von ihrer Existenz nichts wissen oder sie noch nicht abonniert haben. So betrachtet könnte man unser Ziel als geradezu bescheiden einstufen.

Jetzt aber wünschen wir Ihnen erst einmal einen Guten Rutsch ins neue Jahr. Und hoffen, mit Ihnen beim Neujahrsempfang der Linken, auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.Januar in Berlin, auf das Erreichte anstoßen zu können.

* Dietmar Koschmieder ist Geschäftsführer des Verlages 8. Mai GmbH

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