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Aus: Ausgabe vom 31.10.2025, Seite 2 / Ansichten

Kannste oder willste nich?

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Brecht das Brot und nehmt es von den Armen. Kein Kanzler bislang, der das Ausgabenproblem nicht gerade an jenen fixierte, die am wenigsten erhalten. Das ideologische Geflecht der bürgerlichen Gesellschaft gleicht dem Haus, das Verrückte macht. Kein Passierschein A38, kein Ausgang. Man spricht von leistungslosen Einnahmen, meint damit aber nicht Vermögenshäufung, die auf der Aneignung fremder Arbeit beruht. Wer diese Prämisse unhinterfragt setzt, kann im Angesicht eines defizitären Haushalts tatsächlich bloß noch darauf kommen, dass bei denen gekürzt werden muss, denen man eigentlich kaum noch was nehmen kann.

Das soziale Gewissen der SPD hat eher liturgischen Charakter. Es gehört einfach zur Show, dass ein Teil der Partei regiert und der andere dabei ganz schön Bauchschmerzen hat. Wie bei den parteiinternen Diskussionen um die Bürgergeldreform, nach der Menschen, die Termine beim Jobcenter versäumen, mit drastischen Kürzungen zu rechnen haben. Der MDR zitiert Sachsen-Anhalts Juso-Chefin Simon: In diesem Fall könnten die Sanktionen »das Existenzminimum gefährden. Das bedeutet, dass kein Geld für Miete und Essen da ist«.

Ganz andere Sorgen haben die Nürnberger Nachrichten. Dort reduziert sich das Problem auf den Ärger über Querulanten. Scheißegal, wohin es geht, nur wo hingehen muss es: »Es ist nicht zu fassen: Da ringt sich die Koalition nach wochenlangen Debatten zu Kompromissen durch – und ein paar Tage später wird diese Einigung torpediert, vor allem durch den linken Flügel der SPD: Wenn dieses Bündnis so weitermacht und statt dem Willen zur Einigung die Lust an der Spaltung betont, dann wird es eng.« Für die Koalition, meint das Blatt damit. Für die Bürgergeldbezieher ja ohnehin.

Etwas feinsinniger geht die Stuttgarter Zeitung vor. Man wird doch wohl schaffen können, August Bebel und Gerhard Schröder als Fleisch vom selben Fleisch zu malen: »Die SPD ist laut ihrem eigenen Grundverständnis eine Partei der Arbeit. Sie vertritt dabei nicht nur die Interessen derer, die arbeiten, sondern war auch immer solidarisch mit denen, die nicht arbeiten können. Das zeichnet sie aus. Solidarität mit denen, die nicht arbeiten wollen, gehört dagegen nicht zu den Grundwerten der SPD.« Die subtile Trennung von Können und Wollen, funktioniert natürlich nur in einer Welt, in der das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein nicht mitbestimmt. In der wirklichen Welt liegen zwischen Wollen und Können noch Könnenwollen und Wollenkönnen. Doch um das zu begreifen, muss man es natürlich begreifen können und wollen. (fb)

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  • Leserbrief von Mitter Albert aus Gmunden (30. Oktober 2025 um 20:32 Uhr)
    Abseits von rein ideologisch motivierten Unterscheidungen kann jedes arbeitsloses Einkommen, daher auch z.B. das Bürgergeld, nur aus der Wertschöpfung lebendiger Arbeit stammen. Zudem verhindern die realen Machtverhältnisse in der kapitalistischen Klassengesellschaft sogar, dass vor allem über den Teil der Wertschöpfung, den sich die Kapitalisten aneignen, also über den Mehrwert, die Finanzierung von Sozialleistungen des kapitalistischen Staats (die dieser zur Stabilisierung des Systems »leistet«) erfolgt, sondern überwiegend werden sie direkt von Steuern und Abgaben, die die arbeitenden Menschen von der Wertschöpfung ihrer Arbeit (nach Aneignung des Mehrwerts) an den kapitalistischen Staat) entrichten müssen, finanziert. Im wesentlichen erfolgt also eine Umverteilung von jenen die arbeiten zu jenen die aus welchen Gründen auch immer nicht arbeiten, also selbst keine Werte schaffen, solche aber verbrauchen. Gerade in dieser Umverteilung liegt zum Teil der Erfolg rechter Parteien bei der arbeitenden Bevölkerung, obwohl sie die Umverteilung nach loben, also der Aneignung des Mehrwerts durch die Kapitalistenklasse unterstützen. Linke Parteien übersehen meist diese Problematik. Dass nämlich im Kapitalismus nicht die Kapitalisten sondern hauptsächlich die Arbeiter, Angestellten, öffentlich Bediensteten die Sozialleistungen für diejenigen die nicht arbeiten bezahlen müssen, die sich daraus ergebenden Widersprüche innerhalb der großen, nicht kapitalistischen Mehrheit der Bevölkerung. Es kann im Kapitalismus keine wirkliche Gerechtigkeit geben. Die arbeitenden Menschen müssen auch für die Sozialleistungen die anderen zugute kommen um den Kapitalismus möglichst stabil zu halten arbeiten. Auch das ist (wie die Zuwanderungsproblematik) ein großes Thema, dessen gesellschaftliche Wirkungen und Auswirkungen die linken Parteien meist überhaupt nicht wirklich in ihrer ganzen gesellschaftlichen Realität analysieren.

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