Palaststurm mit Straßenkunst
Von Michael Merz
Die Kultur der Straße soll am 15. November institutionelle Weihen erfahren. Zumindest für einen Abend in Berlin, aber der verspricht, sehr lang zu werden. Die Backsteine des altehrwürdigen Roten Rathauses nahe dem Alexanderplatz sollen im Bass des Beats vibrieren. Erstmalig wird in der Hauptstadt ein HipHop-Ball stattfinden – am Sitz des Regierenden Bürgermeisters und des Senats erobert sich urbane Kultur einen lange für sie verschlossenen Raum. Dabei sind nicht nur einheimische und internationale DJs, MCs, Tänzerinnen und Tänzer am Zug – auch zeitgenössische Streetart ist großflächig eingebunden.
Der historische Wappensaal des Rathauses wird dabei zur Bühne für eine Graffitivernissage. Kuratorin Theresa Lambrecht sieht das als außergewöhnliche Aufgabe an, obwohl sie bereits künstlerisch mit allen Wassern gewaschen ist, als Designerin und Unternehmerin längst verschiedenste Facetten bedient. »Die Ausstellung ist mehr als nur Kunst an der Wand«, sagt sie. Es gehe ihr um das Erleben an sich – und den Ausdruck von Identität, Widerstand, Zugehörigkeit und kreativer Freiheit. Für sie als Berlinerin sei es besonders aufregend, diese Herausforderung in der Stadt, deren Sound und Optik sie beim Großwerden geprägt haben, zu bestreiten. Mit der Gründerin des Balls, Sajeh Tavassoli, verbindet Lambrecht die Liebe zum HipHop und seiner Kultur. Die Graffitiwerke von sechs Künstlerinnen und Künstlern versammelt sie im Wappensaal. Darunter ist Gogo Plata, auch aus dem Südosten Berlins stammend. Auf seinen Bildern ist ein Mix aus Street-Art und Comic zu sehen, mit viel Witz spießt er sein Umfeld auf – im Mittelpunkt steht oft ein verzerrtes Subjekt, etwa eine monströse Micky Maus, die Walt Disney in dieser Form nur im völligen Wahnsinn zustande gebracht hätte. Die anonym arbeitende Künstlerin Mina Mania widmet sich hingegen in ihren Werken starken Frauen. Die überlebensgroßen Darstellungen nennt sie »Nanas«, sie stehen sinnbildlich für Empowerment.
Theresa Lambrecht gehe es darum, Gegensätze zu verbinden und daraus Neues zu schaffen, um »Austausch, Gemeinschaft und neue Perspektiven«, sagt sie im Gespräch mit jW. In der vergangenen Woche hatte sie zuletzt ihre eigene Kunst für einen Tag in Berlin ausgestellt. »Lunar Circles« nennt sie ihre Werke auf feinem Fedrigoni-Papier, die Wissenschaft mit Ästhetik verbinden – sie verarbeitet reale Mondphasen, im Kreis oder in Reihe angeordnet. »Das sind Muster der Vergangenheit bis hinein in die Zukunft«, erklärt sie. Auf den ersten Blick wirkt das psychedelisch, doch dann lässt sich schnell die Struktur dahinter begreifen. Je länger betrachtet, desto deutlicher wird sie – und für jeden Zeitabstand individuell zugeschnitten. Dabei ist die Geschichte dahinter, oder, besser gesagt, das sich unter dem Mond Abspielende von Interesse. Sei es David Bowies Schaffensphase von 1969 bis 1972 oder das gesamte, wenn auch kurze Leben von Tupac Shakur zwischen 1971 und 1996, womit wir wieder beim HipHop wären. Und es ist immer nur der eine universelle Rhythmus des Mondes, unter dem wir alle gemeinsam leben.
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