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Aus: Ausgabe vom 09.05.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Haushaltspolitik

Haushalt mit tiefem Loch

Österreich: Dreierkoalition setzt Rotstift im Sozial- und Bildungsbereich an. Kriegsetat verdoppelt
Von Dieter Reinisch, Wien
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Ein Regierungstrio mit einer Mission: Verarmungsprogramm auf breiter Linie durchsetzen (Wien, 9.4.2025)

Die neue österreichische Dreierkoalition hat mit einem riesigen Haushaltsdefizit zu kämpfen. Bei Regierungsantritt im März wurde im Koalitionsabkommen beschlossen, den Haushalt in diesem Jahr um 6,4 Milliarden Euro, im kommenden um 8,4 Milliarden Euro zusammenzustreichen.

Regelmäßig werden neue Kürzungsmaßnahmen bekannt. Diese treffen vor allem den Sozial- und Bildungsbereich. Am Dienstag nächster Woche hält der neue Finanzminister, Markus Marterbauer (SPÖ), seine Rede vor dem österreichischen Nationalrat und stellt dabei das Doppelbudget für 2025/2026 vor.

Am Mittwoch machte Familienministerin Claudia Plakolm (ÖVP) schriftlich bekannt, dass in den kommenden Jahren Familienbeihilfe und Karenzgeld nicht mehr an die Inflation angepasst werden sollen. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) verteidigte dies: »Niemand wird weniger erhalten, sondern es wird für zwei Jahre die Erhöhung ausgesetzt«, sagte er im Pressefoyer nach dem Ministerrat am Mittwoch. Der ÖVP-Chef erinnerte daran, dass es die jährlichen Anpassungen bis vor kurzem noch gar nicht gegeben habe.

Kritisiert wurden die geplanten Streichungen von Sozialverbänden. Die vergangenen Jahre hätten neue Notlagen geschaffen. Armut habe sich trotz Einmalzahlungen und stabiler Sozial- und Familienleistungen verfestigt, erklärte die Caritas in einer Pressemitteilung.

Vergangene Woche wurden die neuen Daten der Statistik Austria veröffentlicht: Darin zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Armut in Österreich, vor allem bei Kindern und Familien. Aktuell sind rund 15 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, schreibt die Armutskonferenz in ihrem aktuellen Bericht. Caritas-Generalsekretärin Anna Parr dazu: »Schon jetzt sind unter Familien mit Kindern und Alleinerziehern je rund ein Drittel armutsgefährdet. Gerade sie werden die geplanten Einschnitte schmerzlich spüren.« Statt dessen müsse die Regierung rasch Kinderarmut reduzieren, fordert Parr.

Das Momentum-Institut (MI) widerspricht Stockers Behauptung, dass die »Einsparungen« keine Kürzungen bedeuten. Denn laut ihren Berechnungen würde eine Familie mit zwei Kindern durch die Maßnahmen im Doppelbudget 500 Euro verlieren. Großfamilien würden bis zum Ende der Legislaturperiode 2029 sogar mehr als 1.400 Euro verlieren, betonte Barbara Schuster, stellvertretende MI-Chefökonomin.

Aus Regierungskreisen ist zu vernehmen, dass in der Budgetrede weitere »Sparmaßnahmen« im Sozialbereich vorgestellt werden sollen. Erwartet wird etwa die Kürzung des Pflegegeldes.

Bereits am Dienstag gab Bildungsminister Christoph Wiederkehr von den wirtschaftsliberalen Neos bekannt, dass es in seinem Ressort Kürzungen von 100 Millionen Euro im aktuellen Haushaltsjahr geben werde. Dies wolle er mit schlankerer Verwaltung, weniger Nachbesetzungen und Reduzierung von Lehrerschulungen und Weiterbildungen ermöglichen.

Sigrid Maurer, stellvertretende Klubobfrau und Bildungssprecherin der Grünen, übte laut Mitteilung scharfe Kritik: »Es ist bildungspolitisch extrem kurzsichtig, bei einem ohnehin überlasteten System erneut den Rotstift anzusetzen. Unsere Lehrkräfte und Schulleitungen arbeiten längst an der Belastungsgrenze und brauchen dringend Unterstützung.«

Und Informationen der Tageszeitung Standard vom Donnerstag zufolge soll auch drastisch beim Klimaschutz finanziell gestrichen werden. Von Streichplänen ausgenommen ist das Verteidigungsministerium: Bis 2032 plant die Regierung, den Kriegsetat mehr als zu verdoppeln. Damit würde dann die NATO-Vorgabe erfüllt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben, wurde Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in dem Zeitungsbericht zitiert. Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) wolle der Budgetrede des Finanzministers kommenden Dienstag nicht vorgreifen, sagte der SPÖ-Chef gegenüber Medienvertretern am Mittwoch. Grundsätzlich hielt er fest, dass er »die gemeinsam vereinbarten Einsparungen« mittragen würde.

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