»Ausräuchern« statt helfen
Von Christian Selz, KapstadtDie Szenerie gleicht einer Belagerung. Seit nunmehr fast einem Monat wachen Einsatzkräfte von Polizei und Militär über den Ausgang eines aufgegebenen Bergwerks nahe Stilfontein in Südafrikas Provinz Nordwest. Unten, gut 1.000 Meter tiefer, harren Bergleute aus: keine formal angestellten Arbeiter, sondern »Zama Zamas«, die ohne Genehmigung die letzten Restvorkommen an Gold aus den weitgehend ausgebeuteten Minen holen. Die Polizei, die bereits mehr als 1.000 Kumpel festgenommen hat, vermutet noch 350–400 Menschen unter Tage. Ein Gemeindeaktivist sprach hingegen von gar 4.000, deren Lage wegen unzureichender Lebensmittelvorräte zunehmend prekär sei. Mindestens ein Bergarbeiter wurde bereits tot geborgen.
Das Handeln der »Glückssucher«, wie sie auf Zulu genannt werden, ist fraglos illegal, weswegen Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa das Areal der Mine einen »Tatort« nennt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Nachdem Südafrikas Regierung zunächst keine Sozialpläne für die Beschäftigten im schrumpfenden Goldbergbausektor aufgelegt hatte, sah sie anschließend jahrelang weitgehend tatenlos dem Agieren der kriminellen Syndikate zu, die die arbeitslosen Bergleute unter unmenschlichen und unsicheren Bedingungen in die verlassenen Schächte schicken. Das ging so weit, dass die Syndikate auch in noch aktive Schächte eindrangen, teils mit Waffengewalt, teils indem sie Sicherheitsleute bedrohten. Nun will die Staatsmacht Stärke demonstrieren – und richtet sich gegen das schwächste Glied in der Kette, die eingeschlossenen Kumpel.
Die Rhetorik erinnert dabei bisweilen an die dunkelsten Zeiten der südafrikanischen Geschichte. »Wir werden sie ausräuchern«, erklärte Ramaphosas Präsidialamtsministerin Khumbudzo Ntshavheni Mitte November, nachdem die Polizei die Bergleute bereits knapp zwei Wochen von jeglicher Versorgung mit Lebensmitteln abgeschnitten hatte. »Wir schicken keine Hilfe an Kriminelle. Kriminellen wird nicht geholfen, Kriminelle verfolgt man«, kraftmeierte die Ministerin weiter. Die linke Gewerkschaft GIWUSA zeigte sich daraufhin »entsetzt von der offenen Missachtung menschlichen Lebens und der Verachtung schwarzer Menschenleben« und erklärte, Ntshavhenis Worte passten »zu Kolonial- oder Apartheidsministern, aber nicht zu einer gewählten Repräsentantin der demokratischen Regierung einer schwarzen Mehrheit«.
Der geschichtliche Vergleich ist naheliegend und weist zudem auf den enormen Zynismus hin, der in der Verfolgung der als illegal abgestempelten Bergleute liegt. Denn die Kumpel sind weit überwiegend ehemalige Arbeitsmigranten (und deren Nachkommen) aus Nachbarländern wie Mosambik oder Lesotho. Zu Apartheidszeiten wurden sie zu Zehntausenden angeworben und auch nach Anbruch der demokratischen Ära 1994 noch zu unmenschlichen Bedingungen in Südafrikas Gruben ausgebeutet. Heute versucht Südafrika, sich dieser Menschen schlichtweg durch den Entzug von Aufenthaltstiteln und Arbeitserlaubnissen zu entledigen – getrieben auch vom eigenen Unvermögen, die Massenarbeitslosigkeit von etwa 40 Prozent einzudämmen, sowie einem resultierenden ausländerfeindlichen Rechtsruck.
Das Narrativ, gegen kriminelle Ausländer hart durchzugreifen, nutzen Regierung und Polizei nun auch, um eine Rettung der Kumpel zu verweigern. Selbst Nahrungsmittel wurden erst wieder in den Schacht geschickt, nachdem ein Gericht die Einsatzkräfte per Eilurteil dazu angewiesen hatte. Obwohl die Polizei selbst erklärt hat, sie wisse von festgenommenen Bergleuten, dass noch unter Tage befindliche Kumpel von Aufsehern der Syndikate mit Waffengewalt festgehalten und zur Arbeit gezwungen würden, will sie keine Kräfte in die Schächte schicken, um die Kumpel herauszuholen. Begründet wird dies mit drohenden Gefahren für die Bediensteten. Und während die Politik vorgibt, im Interesse der lokalen Gemeinden zu handeln, die von kriminellen Bergleuten terrorisiert würden, protestieren Gemeindeaktivisten am Schacht für die Kumpel.
Eine nachhaltige Lösung des Problems auf größerer Ebene ist derweil nicht in Sicht. Experten schätzen, dass es in Südafrika etwa 6.000 nicht ausreichend gesicherte stillgelegte Schächte gibt. »Zama Zamas« fördern dort etwa zehn Prozent der südafrikanischen Goldproduktion, die mit enormen Gewinnmargen für die Hintermänner der Syndikate in den globalen Wirtschaftskreislauf gelangen. Über ein etwaiges »Ausräuchern« dieser Akteure wurden derweil noch kaum Worte verloren.
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