Harte Fakten
Von Stefan Bollinger
Im aktuellen Heft der Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung werden einmal mehr kontroverse Themen angepackt. Nur bedingt gilt das allerdings für die nun schon achte Folge von Matthias Johns detailreich dokumentierter Geschichte von Karl Liebknechts Prozessführung als Verteidiger im Verfahren gegen russische Revolutionäre 1904 vor einem Gericht in Königsberg. Diese die Zeitschrift vom Platzbedarf her fast sprengende Artikelfolge erklärt freilich die enge Verbindung Liebknechts mit der Russischen Revolution.
Berthold Werlein wendet sich ausführlich der Hungersnot in der Sowjetunion von 1932/33 zu und setzt sich auf der Basis der vorliegenden seriösen Forschung mit Fakten und Interpretationen dieses grausigen Kapitels sowjetischer Geschichte auseinander. Keinesfalls tauge es als »Opfer- und Gründungsmythos« für die heutige Ukraine, der als »Holodomor« mittlerweile vom Bundestag zum Bestandteil deutscher Staatsideologie erhoben wurde.
Seit den 1980er Jahren liegen die Hintergründe dieser Hungersnot für die Forschung offen. Dass hier bis zu sieben Millionen Menschen ums Leben kamen, darunter drei Millionen ukrainische Sowjetbürger, ist unumstritten. Ukrainer stellten die größte Opfergruppe, Kasachstan verlor allerdings im Verhältnis zu seiner Bevölkerung die meisten Menschen, ethnische Russen traf es ebenfalls hart. Die heute erfolgende »Nationalisierung« dieser Hungernot als gezielter Völkermord gegen Ukrainer wird von Werlein abgelehnt. Dass er zielgerichtet jene Untersuchungen heranzieht, die jenseits von Spekulationen harte Fakten liefern, ist dankenswert.
Die sowjetische Führung sah die bäuerliche Gesellschaft als Teil der Vergangenheit. In der gegebenen Situation sollten die Bauern schnell in eine sozialistische Gesellschaftsstruktur getrieben werden und als Kolchosbauern ihren Beitrag leisten. Dass das mit rigiden Methoden betrieben wurde, ist unstrittig; dass die Landwirtschaft Getreide und Produkte für die unterversorgten Städte und damit für die forcierte Industrialisierung liefern sollte, gehörte zu den Grundzügen der Politik Stalins.
Dokumentiert wird die Bilanzrede von Siegfried Prokop vor der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) anlässlich ihrer Auflösung im Dezember 2022. Er verdeutlicht die Konsequenzen der von Bonn diktierten Art und Weise der Übernahme der DDR mit ihren Folgen für die Wirtschaft und die soziale Situation sowie der Kaltstellung der DDR-Intelligenz in einem Prozess des Überstülpens der westdeutschen Positionen auf den Osten. Gegen diese »strukturelle Kolonialisierung« agierte die GBM. Deren Ende ist allerdings auch das Ende eines auslaufenden Generationenprojekts.
Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Nr. 3/2023, 180 Seiten, 16 Euro, Bestellungen über den Buchhandel oder direkt beim Trafo-Wissenschaftsverlag, Finkenstr. 8, 12261 Berlin, E-Mail: info@trafoberlin.de
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