Knappe Luft für Rabat
Von Jörg Tiedjen
Es ging hoch her auf der 16. Konferenz des Frente Polisario. Die Westsahara-Befreiungsfront hatte für den 13. bis 17. Januar ins Flüchtlingslager Dajla beim algerischen Tindouf eingeladen. 2.200 Delegierte sowie mehrere hundert Besucher aus aller Welt waren gekommen, wie die spanische Agentur Efe meldete. Zweimal musste das Treffen verlängert werden, zuletzt bis Sonntag. Es war das erste seit der Coronakrise – und der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gegen Marokko, nachdem das nordafrikanische Königreich am 13. November 2020 einen fast drei Jahrzehnte währenden Waffenstillstand gebrochen hatte. Um so wichtiger der Parteitag. Der Onlinedienst Por un Sahara libre hatte in einem Vorabbericht einen Kongress angekündigt, »der das Geschehen auf dem internationalen Schachbrett bestimmen wird«.
Unter den Teilnehmern stand außer Frage, dass der Krieg fortgeführt wird, wie die algerische Tageszeitung El Watan festhielt. Im Oktober hatte der UN-Sicherheitsrat verlangt, dass die längst zusammengebrochene Waffenruhe weiter gewahrt werde. Über ihre Einhaltung soll seit 1991 die »Blauhelmtruppe« Minurso wachen. Das ist nun überflüssig. Von vornherein stand der sorgfältig vorbereitete Kongress unter dem Motto: »Verstärkt den Kampf für ein Ende der Besetzung und zur Erlangung der vollständigen Souveränität«. Nach wie vor werden zwei Drittel der Westsahara von Marokko kontrolliert, das Siedler ins Land holt und dessen Ressourcen ausbeutet, während Sahrauis, die ihr Recht auf Selbstbestimmung einfordern, unterdrückt werden.
Auch eine Delegation aus den besetzten Gebieten nahm an dem Treffen teil. Dabei war die Menschenrechtsaktivistin Sultana Khaja, die im vergangenen Herbst aus dem Hausarrest in Bojador in die EU ausgereist war, da sie in ihrer Heimatstadt ihres Lebens nicht mehr sicher war. Khaja wurde Mitglied des Präsidiums der Konferenz. Neben Programm- und Grundsatzdebatten gab es Neuwahlen zum Nationalrat, zum Zentralkomitee und zum Amt des Generalsekretärs: Brahim Ghali entschied die Abstimmung mit 69 Prozent der Stimmen für sich und wurde für weitere drei Jahre in dieser Funktion bestätigt. Gegenkandidat war Bachir Mustapha Sayed, Bruder des Gründers der Polisario-Front, El-Ouali Mustapha Sayed.
Marokko machte unterdessen negative Schlagzeilen. Am Donnerstag hat das EU-Parlament eine Resolution gegen Rabat verabschiedet, um Repressionen gegen Journalisten wie Omar Radi, Soulaimane Raissouni oder Taoufiq Bouachrine anzuprangern, die mit Hilfe inszenierter »Sitten-« oder »Spionageaffären« hinter Gittern gebracht worden waren. Seit langem fordern Menschenrechtsgruppen und UN-Vertreter ihre Freilassung. Auf Antrag der Europäischen Linken wurde Rabat darüber hinaus wegen seiner Rolle im EU-Skandal gerügt. Lobbyisten der Monarchie haben künftig Hausverbot. Aufgrund von Ermittlungen der belgischen Polizei war im Dezember ins Rampenlicht gerückt, dass Marokko im EU-Parlament eine »Pressuregroup« unterhält, mit der es zum Beispiel verhinderte, dass Sultana Khaja 2021 mit dem Sacharow-Preis geehrt wurde. Auch die Aufklärung des »Pegasus«-Abhörskandals wurde auf die lange Bank geschoben.
Wer sich bei der EU-Resolution enthielt: der Mouvement National – und mit einer Ausnahme die spanischen Sozialisten. Wie bei Parteichef Pedro Sanchez’ Canossagang nach Rabat vergangenes Frühjahr bekennt der PSOE auch in Strasbourg Farbe – auf Anweisung aus Madrid, wie der ebenfalls in der EU-Resolution erwähnte spanische Journalist Ignacio Cembrero im Confidencial unter Berufung auf ungenannte Quellen schrieb. Einen strategischen Hintergrund nennt ein Bericht der italienischen Webseite Africa Express vom 16. Januar: Marokko werde gerade eng in NATO-Strukturen eingebunden und beliefere die Ukraine mit russischem Militärgerät. Doch »Marokko-«, nicht »Katar-Gate« zeigt, dass die Narrenfreiheit des Königreichs nicht unbeschränkt ist. Für diesen Montag hat das königstreue und ansonsten machtlose Parlament in Rabat eine Sondersitzung zu den EU-Beschlüssen einberufen. Die Luft wird knapp.
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