Kein Geld, kein Bus
Von Ralf Wurzbacher
Die Verkehrsminister von Bund und Ländern hatten am Dienstag dicke Bretter zu bohren. Bei einer digitalen Sonderkonferenz berieten sie bis in den Abend (nach jW-Redaktionsschluss) über die mögliche Aufhebung der Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), über Elektromobilität und das Dauerchaos bei der Bahn. Die aktuell größten Erwartungen aber sind mit der Frage verbunden, wann endlich das 49-Euro-Ticket kommt. Für einen Stimmungsdämpfer hatte im Vorfeld der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Oliver Wolff, gesorgt. »Der Zeitpunkt des Beginns wird der 1. Mai sein«, hatte er im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Dienstagausgabe) vorausgesagt. Weil es noch viel zu tun gebe, sei es viel früher nicht möglich. Zum Beispiel müssten zunächst die Tarifsysteme der Verbünde umgestellt werden.
Einen konkreten Starttermin hat die Politik bisher nicht genannt. Trotz des Mitte Oktober ergangenen Grundsatzbeschlusses für ein sogenanntes Deutschlandticket ist nicht einmal ausgemacht, dass es den Nachfolger des Neun-Euro-Tarifs überhaupt geben wird. Der vereinbarte Zuschuss von je 1,5 Milliarden Euro jährlich durch Bund und Länder wird ziemlich sicher nicht reichen. Die Verkehrsbetriebe sagen, damit würden die erwarteten Mindereinnahmen – etwa durch den Wegfall von Jahresabos – nicht kompensiert, und sie drohen mit gekürzten Fahrplänen. »Das hieße also, Linien auszudünnen und Taktzeiten zu reduzieren«, beschied etwa Krefelds Stadtwerke-Vorstand Carsten Liedtke bei Tagesschau.de: »Die Kunden müssten dann für 49 Euro deutschlandweit an der Bushaltestelle warten.« Helfen soll eine »Nachschusspflicht« für die Bundesregierung, die je nach Bedarf fällig würde.
Aus Anlass der Tagung am Dienstag hatte die Gewerkschaft Verdi zu einem bundesweiten »Aktionstag für die Mobilitätswende« aufgerufen. In mehreren Landeshauptstädten protestierten um die Mittagszeit Unterstützer für eine auskömmliche Finanzierung des ÖPNV und einen »überfälligen Beitrag des Verkehrssektors zum Klimaschutz«. Die zentrale Kundgebung fand vor dem Bundesfinanzministerium in Berlin statt, dorthin hatten auch Aktivisten der Bewegung Fridays for Future mobilisiert. Redner kritisierten die nach wie vor zu knappen Gelder, die der Bund den Ländern zur Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs zur Verfügung stellt. Zwar werden diese »Regionalisierungsmittel« laut jüngster Einigung um eine Milliarde aufgestockt und ab 2023 um anfangs 1,8 Prozent und später drei Prozent erhöht. Die inflationsbedingten Ausgabensteigerungen und durch den Fachkräftemangel zusätzlich notwendige Investitionen seien davon jedoch nicht abgedeckt, bemängelt die Gewerkschaft. Kritisiert wird ferner, dass die Ampel den versprochenen ÖPNV-Ausbau auf einen Zeitraum nach 2024 verschoben hat.
Zum dicksten Bremsklotz der Ambitionen könnte bei all dem der DB-Konzern werden. Der Welt am Sonntag hatte Bahn-Vorstand Berthold Huber mitgeteilt, bei Einführung des Deutschland-Tickets im Regionalverkehr auf keine zusätzlichen Kapazitäten zugreifen zu wollen. »Die Infrastruktur ist dicht«, bemerkte er, kurzfristig könnte man allenfalls versuchen, auf eine eventuell steigende Nachfrage mit mehr Plätzen in den Zügen zu reagieren. Das klingt nach Sardinenbüchse und weckt Erinnerungen an vollgestopfte Waggons im Sommer, als das Neun-Euro-Ticket der Bahn Rekordfahrgastzahlen bescherte. Neben dem maroden Netz ist der Personalmangel die zweite große Baustelle. Bis 2030 werden nach Verdi-Angaben 100.000 neue Beschäftigte benötigt, während die schlechten Arbeitsbedingungen viele Bewerber abschreckten. Gleichwohl äußerte sich Gewerkschaftsvizechefin Christine Behle in einer Medienmitteilung hoffnungsfroh: »Mit dem Ausbau des ÖPNV und Investitionen ins Personal kann die Wende ins Rollen gebracht werden.«
Dafür allerdings bedürfte es noch mehr Druck von der Straße. In Berlin kamen am Dienstag nach Auskunft von Verdi-Sektretär Jeremy Arndt »rund 50 Leute« zusammen. Schuld sei auch die »grassierende Personalnot«, meinte er gegenüber junge Welt. »Selbst freigestellte Betriebsräte mussten heute Dienst schieben.«
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