Druck auf Löhne
Von Susanne Knütter
Die Erläuterungen könnten genausogut aus dem Presseamt der Bundesregierung stammen. Aber es handelt sich um die Antworten des Deutschen Gewerkschaftsbunds auf »häufig gestellte Fragen« zum Bürgergeld, mit Stand von letztem Donnerstag: Mit der Steigerung der Regelsätze »ab dem 1.1.2023 um 11,8 Prozent« würde die »fürs nächste Jahr erwartete Teuerungsrate (Prognosen bis zu 9,5 Prozent) vollständig ausgeglichen«. Dass 53 Euro mehr trotzdem viel zuwenig sind und rund 200 Euro hinter dem Betrag zurückbleibt, den etwa der Paritätische Wohlfahrtsverband für angemessen hält – geschenkt.
Der DGB erkennt an, dass mit der Minierhöhung der Zwang zum Arbeiten erhalten bleiben soll. Gleich in der nächsten Antwort rechnet der DGB vor, warum sich arbeiten trotzdem lohnt, auch wenn das Bürgergeld kommt. Ein Lohnabhängiger, der bei einer 38-Stunden-Woche zum Mindestlohn netto 1.527 Euro erhält, habe im Monat 670 Euro mehr im Geldbeutel als ein Bürgergeld-Bezieher mit einem Regelsatz von 502 Euro und 411 Euro für die Warmmiete. Schon einmal eingerechnet hat der gewerkschaftliche Dachverband das Wohngeld von 56 Euro, das arme Leute als Mietkostenzuschuss beantragen können.
Nach dem Kompromiss zwischen Union und Ampel ist der DGB immer noch voll des Lobes für das Bürgergeld. Kritik hat er vor allem an der CDU. »Für die Betroffenen ist gut, dass trotz der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Irrläufe der CDU so schnell ein Kompromiss gefunden wurde«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber jW. Höhere Regelsätze linderten gerade jetzt existentielle Nöte, und »das Bürgergeld schafft definitiv Perspektiven und neue Chancen für Arbeitslose«, so Piel am Donnerstag.
Der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) stellt sich auch das Bürgergeld »als Verarmungs- und Zwangssystem dar mit dem Hauptziel, die Löhne zu drücken«. Das gilt erst recht, so Heike Wagner von der KOS am Freitag gegenüber jW, »nachdem der Vermittlungsausschuss auf Druck der CDU verschiedene zunächst geplante Verbesserungen, etwa bei den Kosten der Unterkunft, zusammengestrichen hat«.
Die KOS hatte von Anfang an die Pläne der Bundesregierung zum Bürgergeld als völlig unzureichend und als nicht zur Überwindung von Hartz IV geeignet kritisiert. Mit dem nun im Vermittlungsausschuss ausgehandelten Gesetz würden auch »einige Verbesserungen bzw. die Beibehaltung von Verbesserungen aus den bis Ende dieses Jahres geltenden Sozialschutzpaketen wieder in Frage gestellt«, so Wagner. Das betreffe vor allem die Verkürzung der Karenzzeit bei den Wohn- und Heizkosten von zwei auf ein Jahr, »die in der aktuellen Krise den meisten Leistungsberechtigten wenigstens die Angst vor Verlust der eigenen Wohnung abmildern kann«. Dabei sei anzumerken, so Wagner, dass gerade diejenigen, die schon seit Jahren einen Teil ihrer Wohn- und Heizkosten aus dem zu knapp bemessenen Regelsatz bezahlen müssen, von dieser Erleichterung ausgenommen wurden. »Die jetzige Einigung mit der verkürzten Karenzzeit vergrößert die Unsicherheit der Betroffenen und bedroht spätestens im nächsten Winter 2023/24 viele Menschen.«
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kritisierte in erster Linie die auf Druck der Union zustande gekommenen Änderungen, wie z. B. die Streichung der zunächst vorgesehenen sechsmonatigen »Vertrauenszeit«, in der Sanktionen sparsam eingesetzt werden sollten. Das »Bestrafungs- und Sanktionssystem Hartz IV, das die rot-grün-gelbe Bundesregierung ablösen wollte«, bestehe nun fast unverändert weiter, erklärte am Donnerstag Verdi-Chef Frank Werneke (SPD). Für den DGB sind die Sanktionen »zwar nicht weg, aber zumindest entschärft«.
Für positiv befindet der DGB auch die neuen Regelungen zur Kooperation und Weiterbildung. Damit könne das Bürgergeld eine »Zusammenarbeit befördern, die auf Kooperation setzt, den Menschen etwas zutraut und gute Hilfsangebote macht«, so Gewerkschafterin Piel. Für Wagner von der KOS wäre ein »Mehr an Weiterbildungen, am besten abschlussbezogene«, zu begrüßen. Aber hier bleibe abzuwarten, »wie sich die Absichten des Gesetzgebers in der Praxis der Jobcenter tatsächlich abbilden werden«.
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