EU-Außenposten
Von Reinhard Lauterbach
Wie bewegend hatte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock noch auf der am Wochenende zu Ende gegangenen Weltklimakonferenz wieder einmal beklagt, dass sich in Sachen Bekämpfung der Erderwärmung nichts Substantielles tue – bis auf einen Fonds, aus dem Brosamen für die am stärksten betroffenen Länder ausgeschüttet werden sollen –, während – und weil – im übrigen alles weitergeht wie gehabt. Das demonstrierte auch Baerbock alsbald, indem sie für einen Kurztrip in die französische Hauptstadt am Montag weiter an ihrem CO2-Fußabdruck arbeitete. Dort wollte sie an einer »Geberkonferenz« für das von Armutsprotesten geschüttelte Moldau teilnehmen.
Wobei »Geberkonferenz« etwas hochgegriffen ist. Geber gibt es auf dieser Konferenz genau zwei: Gastgeber Frankreich, vertreten durch Außenministerin Catherine Colonna, und die BRD in Gestalt von Baerbock. Im übrigen vertreten: Moldau selbst, um Dankeschön zu sagen und ein Bekenntnis zu »Europa« abzulegen, und Rumänien, das zwar kein Geld übrig hat, für das am Ende aber sicher auch noch etwas abgefallen sein wird. Schließlich ist das Land die logistische Basis dafür, dass alle in Brüssel gehegten geopolitischen Ambitionen hinsichtlich der Zukunft von Moldau überhaupt mehr sind als Sandkastenspiele. So macht die Veranstaltung in Paris eher den Eindruck einer Initiative zur Schönfärbung der zuletzt kriselnden deutsch-französischen Beziehungen: Seht, wir können doch noch etwas zusammen anleiern.
Andererseits ist es schon so, dass der »proeuropäischen« Regierung von Maia Sandu in Chisinau offenbar innenpolitisch das Wasser inzwischen bis zum Hals steht. Seit Wochen demonstrieren Zehntausende von Verarmung bedrohte Moldauerinnen und Moldauer gegen die gestiegenen Energiepreise, die sie vor die Wahl stellen: Heizen oder Hungern. Sie fordern die Regierung auf, sich mit dem russischen Versorger Gasprom zu einigen, der wegen ausstehender Rechnungen die Gaslieferungen an das Land um 30 Prozent gekürzt hat. Die Nervosität der Regierung wird daran deutlich, dass die Polizei zuletzt gegen Straßenblockaden der Protestierenden – trotz vorliegender Gerichtsurteile – nicht mehr vorgeht und die Justiz den früheren »prorussischen« Staatspräsidenten Igor Dodon am Freitag aus dem Hausarrest freigelassen hat. Zwei offenkundige Beschwichtigungsmanöver.
Die ausstehenden Gasrechnungen Chisinaus belaufen sich auf 700 Millionen US-Dollar. Zwei frühere Moldau-»Geberkonferenzen« haben zusammen 1,2 Milliarden Euro lockergemacht. Am Montag ging es offenbar um weit kleinere Beträge im zweistelligen Millionenbereich für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Förderung der Energieeffizienz. Dass die »Geberländer« Chisinaus Gasrechnung übernähmen und dadurch Sandu wenigstens eine Atempause verschafften, widerspräche ja auch den Sanktionen. Einstweilen wird also weiter gefroren. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
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