Die Feige auf dem Hummus
Von Gabriele Damtew
Sonntag, 17 Uhr, Katar – Ecuador
Montag, 17 Uhr, Senegal – Niederlande
Jetzt wird doch noch alles (fast) gut. Die FIFA für Menschenrechte (FIFAFÜM) hat kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft ihren bislang größten Coup gelandet. Wie aus zuverlässigen Quellen durchsickerte, verständigte sich Gianni Infantino, der große Menschenrechtsaktivist und – nicht zufällig – Präsident dieser wichtigsten weltumspannenden Organisation, mit dem katarischen Emir wie folgt: Die Eröffnungsfeier ist zum größten Versöhnungsfest aller Zeiten umzuwidmen. Bei der FIFAFÜM wird wie immer geklotzt, nicht gekleckert. Witwen und Halbwaisen der drei offiziell auf Baustellen gestorbenen Arbeitsmigranten konnten durch die hocheffiziente Geheimpolizei des kleinen Golfstaates in einer Nacht- und Sandsturmaktion in ihren jeweiligen Heimatländern ausfindig gemacht und mit zwei Chartermaschinen nach Katar eingeflogen werden. Ihnen werden die ersten Worte von Gianni gehören. Er habe den Emir im Vorfeld eingeweiht, seine Tränen nicht zurückzuhalten, obwohl er wisse, dieser Ausdruck männlicher Emotionalität sei bei den Gastgebern kulturell verpönt. Aber Gianni ist nach eigenen Worten selbst »Kind italienischer Migranten«, die es in die Schweiz verschlug, ein hartes Pflaster.
Aus dem Erlös des Verkaufs von Uhren der Marke Rolex, die ihm und Exekutivmitgliedern der FIFAFÜM vom Organisationskomitee Katars förmlich aufgedrängt worden seien (obwohl man schon welche besessen habe), wolle man zudem Trikots und Käppis mit dem Logo der FIFAFÜM an die Hinterbliebenen verteilen. So werde die Botschaft von Menschenwürde und Hoffnung auch in die ärmsten Winkel der Welt getragen. Nichts halte die FIFAFÜM von einem Fonds zur Wiedergutmachung in Höhe von 420 Millionen Euro, wie von den konkurrierenden Organisationen Human Rights Watch und AI gefordert. Jener setze keine Zeichen, sei keine Hilfe zur Selbsthilfe und halte von ehrlicher Arbeit ab, die »Würde und Stolz« verleihe. Infantino weiß, wovon er spricht.
Doch nicht alle Ideen des Präsidenten ließen sich umsetzen. Seine große Initiative eines Waffenstillstands zwischen Russland und der Ukraine während des Weltpokals verhallte im Raketendonner, ebenso wie seine Idee, alle Teams könnten doch, wie auf Vorschlag Dänemarks, aus Pietät in schwarzen Leibchen spielen. Ein technisches Expertengremium von Trikotausstattern musste den ethischen, doch für Zuschauer visuell verwirrenden Vorschlag ablehnen.
Auch in Sachen Rückbau und Verschiffung der Stadien nach Ende der WM in Entwicklungsländer besteht noch Redebedarf. Nepal meldet bereits logistische Probleme in Sachen Nachhaltigkeit an.
Nicht zuletzt plane man hinter vorgehaltener Hand, sozusagen als Feige auf dem Hummus, eine Grußadresse von Giannis Mentor Sepp Blatter. Der alte Herr ist zwar gebrechlich und leidet an Vergesslichkeit, wäre aber allein durch sein Erscheinen ein Verbindungen stiftender, lebender Beweis der hehren Ziele der FIFAFÜM.
Zeit, unser mondiales Fußballfest zu feiern. Los geht es mit dem Eröffnungsspiel zwischen Katar und Ecuador. Geheimfavorit Katar ist das eingespielteste Team aller Qualifizierten und lebt seit Jahren praktisch in einer WG. Keine eingebürgerten Brasilianer, nur ein Exportugiese.
Ecuador konnte sich als letzter der Südamerika-Gruppe überraschend qualifizieren und hat eine der jüngsten Mannschaften: Routine gegen Mumm.
Am Montag spielt der Senegal als amtierender Afrikameister 2022 gegen die Underdogs aus den Niederlanden, die auch einmal Kontinentalmeister werden konnten, aber das ist schon lange her.
Katar – Ecuador 0:2
Senegal – Niederlande 1:2
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (18. November 2022 um 22:06 Uhr)Es ist schon bedenklich und erstaunlich, dass die jW über die Spiele der Männer Fußball-WM berichtet, trotz der gerechtfertigten Kritik dieser Veranstaltung. Bedauerlich, denn diese WM sollte sich niemand anschauen und auch nicht über die Spiele berichten!
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