»Dann sitzen wir die nächsten Winter im Kalten«
Interview: Fabian Linder
Die Klimagerechtigkeitsbewegung ruft für diesen Freitag zu einer Demonstration vor dem Auswärtigen Amt in Berlin auf. Dabei geht es auch um die UN-Klimakonferenz COP 27 im ägyptischen Scharm Al-Scheich. Wie bewerten Sie deren bisherigen Verlauf?
Wir demonstrieren am Freitag unter dem Motto »No more empty promises« (Keine leeren Versprechungen mehr, jW) und ziehen vom Außenministerium bis zum Bundeskanzleramt. Es braucht jetzt konkrete Maßnahmen für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz. Dabei geht es um die Minderungen der CO2-Emissionen ebenso wie um Reparationszahlungen an Staaten des globalen Südens.
Wir sehen bisher, dass sich einiges in die richtige Richtung bewegt. Es wird über eine Energiepartnerschaft sowie Klimafinanzierungen (Unterstützung von Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und zur Anpassung an Folgen der Erderwärmung, jW) diskutiert. Allerdings reicht das bei weitem nicht aus. Es muss jetzt alles dafür getan werden, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten.
Sie kritisieren den Umgang mit dem globalen Süden. An den grundsätzlichen Problemen hat sich auch nichts dadurch geändert, dass in diesem Jahr erneut eine UN-Klimakonferenz auf dem afrikanischen Kontinent stattfindet?
Nein, bei der COP 27 dominieren wieder einmal die Länder des globalen Nordens. Sie ist der letzte Trumpf der fossilen Lobby. Mit 600 Vertretern versucht die größte Delegation dieser Industrien seit vielen Jahren, Druck zu machen und die Nutzung von Gas als Brückentechnologie darzustellen. Der Ausbau erneuerbarer Energie wird ausgebremst.
Sie kritisieren darüber hinaus die Menschenrechtslage im Gastgeberland Ägypten. Welche Verbindung sehen Sie zum Thema Klimaschutz?
Die Klimakrise als solche ist gefährlich für die Menschenrechtslage weltweit, etwa mit Blick auf die körperliche Unversehrtheit oder die freie Meinungsäußerung. Die Länder, die am dringendsten Klimagerechtigkeitsaktivismus brauchen, schränken ihre Zivilgesellschaft und damit die Möglichkeit für politischen Wandel ein.
Die Aktivisten im globalen Süden – wie in Ägypten – sind erheblichen Repressionen ausgesetzt. Und das nicht nur vor der COP, sondern auch während der Konferenz. Darüber hinaus gibt es in dem Land 60.000 politische Gefangene und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht frei publizieren können. Klimaschutz und Klimagerechtigkeit können unter solchen Bedingungen nicht erkämpft werden.
Wirksamer Klimaschutz wird derzeit vor allem mit Verweis auf die multiplen Krisen ausgehebelt.
Bundeskanzler Scholz warnte auf dem Gipfel vor einer fossilen Renaissance. Das ist schon ironisch angesichts des Wiedereinstiegs in fossile Technologien im eigenen Land, wie der Verlängerung der Laufzeit von Kohlekraftwerken und dem Bau von LNG-Terminals, die bis 2043 genehmigt werden. Angeblich will man ja 2045 klimaneutral sein. Die jetzt geschaffenen Infrastrukturen für Gas als Brückentechnologie müssen später auch für »grünen Wasserstoff« genutzt werden können. Danach sieht es gegenwärtig nicht aus. Ebenso müssten internationale Finanzströme umgelenkt werden, hin zu Investitionen in erneuerbare Energien.
Hierzulande spielt man den Klimaschutz mit den gestiegenen Energie- und Heizkosten aus. Wie beurteilen Sie das?
Was hierbei immer vergessen wird: Wenn wir jetzt nicht in die Erneuerbaren investieren, sitzen wir die nächsten Winter im Kalten. Die Nutzung kurzfristiger Brückentechnologien ist so lange zu entschuldigen, solange sie kurzfristig bleibt. Zudem ist es ein fundamentaler Fehler, soziale Ungerechtigkeit und die Klimakrise gegeneinander auszuspielen. Beides hängt eng zusammen. Erneuerbare Energieträger sorgen am günstigsten, am verlässlichsten und am unabhängigsten für Strom. Aus einer sozialen Perspektive wäre es jetzt am klügsten, soviel wie möglich in diesen Bereich zu investieren, um langfristig unabhängig zu bleiben.
Luis von Randow ist Sprecher von Fridays for Future Berlin
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Leserbrief von Klaus P. Jaworek aus Büchenbach (21. November 2022 um 13:27 Uhr)Wieder einmal wird auch diese Klimakonferenz 2022 verlängert. Außer dieser alljährlichen Phrasendrescherei kommt auch aus Scharm Al-Scheich nichts wirklich Neues, absolut nichts, das auch nur ansatzweise mit der Rettung des Weltklimas einhergeht. Gut, einige Entwicklungsländer erhalten von den größten Industriestaaten einen Batzen Geld, um damit die größten Umweltschäden zu düngen. Das Gewissen aller Gipfelteilnehmer dürfte wieder einmal für einen kurzen Moment beruhigt sein, aber Hauptsache alles bleibt genauso wie ist! Die große Frage wann die Sintflut kommt wurde erneut vertagt, nur dass sie kommen wird, das dürfte so sicher sein wie das Amen in der Kirche!
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