Gestärkt in Runde fünf
Von David Maiwald
Die Beteiligung in den ersten Wochen ist groß. Bundesweit sind bisher mehr als eine halbe Million Menschen den Aufrufen der IG Metall (IGM) in der laufenden Tarifauseinandersetzung gefolgt, so berichtet die Gewerkschaft. Schließt man daraus über die Entschlossenheit der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie, so verfügt die IGM zu Beginn der fünften Tarifrunde an diesem Donnerstag in Baden-Württemberg über eine starke Verhandlungsposition. Die ist auch nötig. Denn nach vier gescheiterten Verhandlungen möchte die Gewerkschaft bei den Gesprächen in Ludwigsburg eine Einigung »mit Pilotcharakter« versuchen.
Verstärkte Maßnahmen
In der laufenden Woche wollte die IGM den Druck noch einmal deutlich erhöhen. Am Mittwoch zählte die Gewerkschaft im Bezirk Küste mehr als 47.300 Beschäftigte bei Demonstrationen und Warnstreikaktionen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Losung: »Küstenweit streikbereit«. Am Dienstag hatten Beschäftigte in Niedersachsen schon die nächsten Warnstreiks gestartet. An diesem Donnerstag sollen nun in Berlin, Brandenburg und Sachsen weitere Aktionen folgen. Denn mit 3.000 Euro Einmalzahlung auf 30 Monate Laufzeit hat die Kapitalseite bislang eher eine Scherzerklärung anstelle eines Angebotes vorgelegt. Die Gewerkschaft fordert für die bundesweit knapp vier Millionen Beschäftigten für die kommenden zwölf Monate eine tabellenwirksame Steigerung der Entgelte von acht Prozent.
Die Forderung der Gewerkschaft kann die derzeitige Inflation von mehr als zehn Prozent nicht ausgleichen. »Viele Beschäftigte« hätten die Forderung bereits als »zu niedrig« zurückgemeldet, hatte die Gewerkschaft Ende September in einer Mitteilung eingeräumt. Doch habe man früh auf Entlastungsmaßnahmen durch die Politik gepocht, erklärte ein IGM-Sprecher am Mittwoch im Gespräch mit dieser Zeitung. In der aktuell »einmaligen Situation« habe sich abgezeichnet, »dass die gesellschaftlichen Herausforderungen nicht durch die Tarifparteien allein stemmbar sind«. Bei den durch die Regierung beschlossenen Maßnahmen habe man dann »von Anfang an auf soziale Unwuchten hingewiesen«. In der Metall- und Elektroindustrie setze die IG Metall nun »mit der höchsten Forderung seit 2008« ihre »erfolgreiche Tarifpolitik der vergangenen Jahre verlässlich fort«.
Explodierende Preise für Heizung und Lebensmittel, weiter wachsende Benzinpreise, höhere Nebenkosten als »zweite Miete« – die Liste der alltäglichen Herausforderungen für Lohnabhängige ließe sich fortsetzen. »Den Beschäftigten geht die Flappe«, fasste Inga Wolfram die Lage am Mittwoch im Gespräch mit junge Welt zusammen. Am Dienstag war die politische Sekretärin der IGM Südost-Niedersachsen mit 3.000 Beschäftigten aus Salzgitter und Peine auf der Straße, um den Forderungen der Gewerkschaft Nachdruck zu verleihen. »Die Beschäftigten sind wütend und frustriert«, erklärt Wolfram. Denn das Angebot der Unternehmer stößt den Belegschaften übel auf. »Es ist klar, dass wir das nicht akzeptieren und dass wir den Konflikt zuspitzen werden«, so die Gewerkschafterin: »Wir müssen Teile des wirtschaftlichen Erfolgs umverteilen.«
Unternehmen geht’s gut
Bei den Betrieben seien die Auftragsbücher derzeit gut gefüllt, räumte der Präsident des Unternehmerverbands Gesamtmetall am Wochenende im Interview mit der Augsburger Allgemeinen ein. Angesichts schlechterer Bezahlung in anderen Branchen forderte er ein »solidarisches Maßhalten« der Beschäftigten. Doch die arbeiten in der Branche tatsächlich an der Belastungsgrenze. Durch Betriebsrätebefragungen weiß die IGM, dass auch die Betriebe angesichts steigender Preise, insbesondere für Energie, vor hohen Kostensteigerungen stehen. Das sieht man jedoch nicht als Begründung für noch stärkere Reallohneinbußen: Eine Anhebung der Gehälter um acht Prozent würden für die Betriebe nur 1,6 Prozent zusätzlicher Kosten bedeuten, argumentiert die IG Metall. Sollte keine »Piloteinigung« zustande kommen, will die Gewerkschaft den Arbeitskampf fortsetzen: »Planungen für 24-Stunden-Warnstreiks und Urabstimmungen laufen«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Bernd K. aus 50769 Köln (17. November 2022 um 10:14 Uhr)Ein kämpferischer Artikel. Und auch ein entsprechendes Foto. Nur, warum wird so oft mit Warnstreiks hantiert? Warum geht man nicht in die Urabstimmung? Und warum bildet bisher kein Tarifabschluss, die Inflation eins zu eins ab? Warum steht die Bundesrepublik im internationalen Vergleich (Streikranking) seit Jahren ziemlich weit unten? Warum wird in den meisten europäischen Ländern mehr gestreikt als hier? Oder geht es den Beschäftigten hier durch die Bank so gut? Die Arbeiter auf dem Foto müssen aufpassen, dass es nicht, wie so oft, plötzlich heißt: Wir haben uns geeinigt, die Tarifkommission hat schon zugestimmt. Jetzt wird wieder gearbeitet.
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