Zurück zu den Wurzeln
Von Hansgeorg Hermann, Paris
Frankreichs ultrarechte Sammelbewegung Rassemblement National (RN) hat sich am Wochenende mit dem erst 27 Jahre alten Jordan Bardella einen neuen Anführer gewählt. Auf ihrem 28. Kongress seit Gründung der Partei im Oktober 1972 – damals unter dem Namen Front National (FN) – stimmten knapp 85 Prozent der in Paris versammelten Delegierten für den Abgeordneten im EU-Parlament aus Drancy (Seine-Saint-Denis). Zum ersten Mal steht damit kein Mitglied der Familie Le Pen mehr an der Spitze der faschistoiden Formation. Dem Parteigründer und mehrfach verurteilten Rassisten Jean-Marie Le Pen war im Januar 2011 seine Tochter Marine Le Pen nachgefolgt; im September 2021 überließ sie den Vorsitz der Partei bereits kommissarisch dem neuen Chef Bardella, um sich ganz der französischen Präsidentschaftswahl zu widmen, die sie im April dieses Jahres gegen den Amtsinhaber Emmanuel Macron zum zweiten Mal nach 2017 verlor.
Le Pen wird allerdings auch in den kommenden Jahren eine der tragenden Figuren der Politikszene des Landes bleiben. Sie ist Vorsitzende der RN-Fraktion, die seit den Parlamentswahlen im Juni mit 89 Abgeordneten in der Nationalversammlung sitzt. Bardella betrachtet sie nach eigenen Worten als ihren politischen Ziehsohn. Während die bisherige Führerin des Rassemblement seit Jahren daran arbeitete, die als rassistisch verschriene Bewegung auch für die bürgerliche Rechte zu öffnen, sie zu »entdiabolisieren«, wie sie selbst es nannte – und mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse durchaus erfolgreich –, wird der RN unter dem jungen Bardella womöglich eher wieder zurück zu seinen faschistischen Wurzeln finden.
Politische Beobachter sehen in Bardella den Zögling einer Familie, der eher dem »Großvater« Jean-Marie Le Pen als der »Mutter« Marine Le Pen zuneigt. Er ist praktisch seit seiner Kindheit ein Gewächs der Ultrarechten, das sich während seiner Schüler- und Studentenjahre bereits als Anführer der Génération Nation, der Parteijugend des Front National, und danach in der größten rechten französischen Studentenvereinigung »Union nationale inter-universitaire« einen Namen machte. »Kameraden« aus dieser Zeit sind Pierre Gentillet, ein aufstrebender Jungpolitiker der bürgerlich-katholischen Les Républicains, und Sarah Knafo, eine Funktionärin des Rechnungshofes, die in den Monaten vor der Präsidentschaftswahl als Partnerin des Faschisten Éric Zemmour bekannt wurde, dessen Wahlkampf sie beratend unterstützte.
Eine neue Generation der politischen Rechten also, die in französischen Medien bereits als Basis für die mögliche Vereinigung zu einem einzigen politischen Lager gesehen wird. Die drei Vertreter dieser neuen Rechten könnten demnach die Garanten sein für einen Wandel in den Beziehungen zwischen den scheinbar so unterschiedlichen Parteien. Wie die aussehen könnten, hatte der neue RN-Chef bereits vor seinem Aufstieg zum Führer einer Partei wissen lassen, deren Kandidatin Le Pen die Präsidentschaftswahl zwar nicht gewann, die aber mit 42 Prozent der Stimmen den Franzosen und ihren europäischen Nachbarn eindrucksvoll ihre wachsende Macht präsentierte. »Eine (zukünftige) Union der Rechten«, wurde Bardella am vergangenen Wochenende von der Pariser Tageszeitung Libération zitiert, »stellt sich vor allem so dar: Alle Wege führen zum Rassemblement National.«
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