Außenpolitisch punkten
Von Igor Kusar, Tokio
Durch Skandale der vergangenen Monate geschwächt, sucht der japanische Premierminister Fumio Kishida derzeit jede Gelegenheit, sich zu profilieren und neu aufzustellen. Die Außenpolitik bietet dazu immer wieder Chancen. So beim Besuch des deutschen Bundespräsidenten in dieser Woche. Frank-Walter Steinmeier hielt sich drei Tage in Japan auf, bevor er am Donnerstag abend nach Seoul weiterflog. Wichtigstes Gesprächsthema war der Krieg in der Ukraine.
Der Bundespräsident betonte die Notwendigkeit, mehr Druck auf Russland auszuüben und die deutschen und japanischen Sanktionen zu koordinieren. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz bestätigten Steinmeier und Kishida, dass beide Länder als derzeitige und nächste Vorsitzende der G7-Staaten die globalen Herausforderungen gemeinsam angehen wollen. Der nächste G7-Gipfel soll im Mai 2023 in Kishidas Heimatstadt Hiroshima stattfinden.
Beim zweiten wichtigen Thema, dem sogenannten freien und offenen Indopazifik – dabei richtet man sich vor allem gegen China – arbeiten die beiden Länder bereits seit einiger Zeit zusammen. Erst kürzlich, im September, haben die japanische und deutsche Luftwaffe zum ersten Mal in der Geschichte gemeinsame Militärübungen im Inselstaat durchgeführt.
Vor seiner Abreise nach Japan sagte Steinmeier in einem Interview mit der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei, Deutschland wolle auch weiterhin in »die indopazifischen Sicherheitsstruktur« eingebunden sein und Truppen nach Asien senden, um »China einzuhegen«. Beim Treffen mit Kishida legte er nach und meinte, die Sicherheit Europas sei »untrennbar« mit der von Asien verbunden.
Kishida seinerseits lobte die anstehende Erhöhung des deutschen Verteidigungsetats und versprach, diesem Beispiel zu folgen. Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs begannen in Japan die Diskussionen über den Aufbau einer neuen Verteidigungsstruktur. Obwohl Kishida nicht als »Falke« in seiner liberaldemokratischen Partei LDP bekannt ist, stellte er sich hinter dieses Projekt. Jedoch ohne sich binden zu lassen, denn bisher ist unklar, wer die höheren Kosten bezahlen soll. Eine Steuererhöhung wird die Bevölkerung nur schwerlich goutieren.
Ende August schlug das Verteidigungsministerium bei seinem jährlichen Budgetantrag eine Erhöhung von »bloß« 3,5 Prozent vor. Vieles scheint noch in der Schwebe zu sein, doch Kishida, der als Zauderer bekannt ist, muss sich langsam entscheiden. Bis Ende des Jahres soll er unter anderem eine überarbeitete nationale Sicherheitsstrategie vorlegen. Das Dokument wird die Größe des Rüstungshaushalts der Zukunft mitbestimmen.
Wenigstens in dieser Frage weiß Kishida die Bevölkerung hinter sich. Die Mehrheit der Japaner wünscht sich größeren militärischen Spielraum und erachtet China als Rivalen. Kishida hat bisher zwischen Abgrenzung gegenüber und Kooperation mit der Volkrepublik laviert. Gegenüber westlichen Potentaten wie Steinmeier oder dem australischen Premierminister Anthony Albanese bei seinem Besuch in Perth vor zwei Wochen betont er seine harte Linie und geht militärische Bündnisse ein, ohne jedoch die Bedeutung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China aus den Augen zu verlieren. Doch eine Verdoppelung des japanischen Militärbudgets auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts, wie es die LDP parteiintern fordert, könnte die Beziehungen zur Volksrepublik dramatisch verschlechtern.
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