Ungeschützte Milieus
Von Oliver Rast
Überraschend ist es nicht: Offerten, auch sinnvolle, scheitern am Proporz. Das kennt die Bundestagsfraktion von Die Linke zuhauf. Ihr Entwurf eines »Gesetzes zur Wiederherstellung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten« scheiterte am Donnerstag abend im Plenum. Zuvorderst an der Ampelkoalition, die sich »Fortschrittskoalition« nennt. »Mit unserem Gesetzentwurf hätte man das kommunale Vorkaufsrecht sofort wiederherstellen können«, sagte Caren Lay (Linke) am Freitag zu jW. Diese Chance habe der Bundestag verpasst, so die mieten- und wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion weiter.
Zum Hintergrund: Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte am 9. November 2021 die in den Großstädten Berlin, Hamburg und München übliche kommunale Vorkaufsrechtpraxis von Grundstücken aus Gründen des Milieuschutzes gekippt. Weitgehend zumindest. Ein solches Vorkaufsrecht dürfe nicht auf Basis der Annahme ausgeübt werden, dass der andere Käufer die Mieter künftig mutmaßlich aus »sozialen Erhaltungsgebieten« verdrängen könnte, entschied das Gericht. Und: Das Vorkaufsrecht sei ausgeschlossen, wenn das Grundstück »entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird«. Das BVerwG hob damit das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin von 2019 auf und gab einer klagenden Immobiliengesellschaft recht.
Ein fataler Beschluss. Denn mit dem Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten könne der »Mietenwahnsinn« begrenzt und der Verdrängungsprozess alteingesessener Bewohner verlangsamt werden. Immerhin, so die Befürworter. Oder konkret – Beispiel Hauptstadtbezirk Mitte: »Rund 50 Häuser in diesen Arealen standen oder stehen seit dem Aus des Vorkaufsrechts zum Verkauf und gehen nun an private Investoren«, sagte Martha Anna Kleedörfer, Vizefraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte und Sprecherin für Wohnen, am Freitag im jW-Gespräch. Hier hätte sich die Kommune »ein Stück Stadt zurückholen können«.
Unter Zugzwang fühlen sich einige Ampelkoalitionäre schon. Claudia Tausend etwa. Die Vizesprecherin der Arbeitsgruppe Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen der SPD-Bundestagsfraktion sagte am Donnerstag abend im Bundestag: »Wir legen nach der Sommerpause einen eigenen Gesetzentwurf zur Wiederherstellung des kommunalen Vorkaufsrechts vor.« Dies bestätigte eine Sprecherin von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) am Freitag gegenüber jW. Der Referentenentwurf sei aktuell in der Ressortabstimmung. Zu weiteren Details wollte sie sich indes nicht äußern. Aber: »Das kommunale Vorkaufsrecht soll schnellstmöglich kommen.« Klingt gewagt, zumal die FDP dies bei der Bundestagsdebatte ablehnte. Ausdrücklich sogar. Ein Kabinettshickhack, was Lay ärgert. Nicht nur sie, auch den Deutschen Mieterbund (DMB). Ein ausgehöhltes Vorkaufsrecht sei nutzlos, erklärte deren Präsident Lukas Siebenkotten am Freitag gegenüber jW. Mehr noch: Nötig sei ein generelles Eingriffsrecht für Kommunen, nicht nur in separaten Milieuschutzgebieten. Erst dann könnten Städte und Gemeinden in die Wohnungspolitik »reingrätschen«.
Davon will Heiko Senebald nichts wissen. Der Nutzen eines kommunalen Vorkaufsrechts sei nicht erkennbar, meinte der Kommunikationsleiter vom Immobilienverband Deutschland (IVD) gleichentags zu jW. »Ein öffentlicher Vermieter ist nicht besser als ein privater.« Beide seien an das Wohnraummietrecht gebunden, »das stark auf den Mieterschutz ausgerichtet ist«. Und statt in Bestandsimmobilien zu investieren, sollten Finanzmittel einer Kommune lieber in ein größeres Wohnungsangebot gesteckt werden.
Bloße Beschwichtigungsversuche der Immobranche, befand die Linke-Bezirkspolitikerin Kleedörfer. Denn: »Rekommunalisierung und Vergesellschaftung bleiben das Gebot der Stunde. Dafür brauchen wir das Vorkaufsrecht.« Ihre bundespolitische Parteikollegin Lay legte nach: Für von Verdrängung bedrohte Mieter zähle jeder Monat, jeder Tag.
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