»Mit Klauen und Zähnen«
Von Sebastian Edinger
Der Tankrabatt ist verpufft, und die Ampelkoalitionäre sind sichtlich bemüht, sich die Schuld daran gegenseitig in die Schuhe zu schieben. Eigentlich könnten sich die Chefs der großen Mineralölkonzerne jetzt entspannt zurücklehnen: Die Preisdifferenz zwischen Rohöl und Benzin beziehungsweise Diesel an der Zapfsäule hat sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs verdoppelt. Das entspricht einem Extragewinn von 25 bis 30 Cent pro Liter. Doch Shell, BP und Co. haben den Bogen offenbar überspannt – und sich so ohne Not eine Zerschlagungsdebatte eingehandelt.
Diese hat nämlich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag mit seiner Ankündigung vom Zaun gebrochen, das Kartellrecht verschärfen zu wollen. Und die FDP kann gar nicht anders, als mitzuziehen. Schließlich hatten die Liberalen in ihren Bemühungen, die eigene Verantwortung für das Tankrabattdesaster zu verschleiern, betont, Habeck stehe in der Pflicht, etwas zu tun, er sei für das Kartellamt zuständig. In dieser Gemengelage und vor dem Hintergrund, dass die FDP schon die Übergewinnsteuer blockiert, zu der sich Grüne und SPD bekennen, musste Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Reformpläne grundsätzlich gutheißen.
Doch was will Habeck? »Wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen«, verlautbarte er am Montag via Deutschlandfunk. Das Kartellamt soll demnach mehr Eingriffsmöglichkeiten erhalten: Die Sektoruntersuchungen sollen schlagkräftiger werden, und es sollen Gewinne durch die Behörde abgeschöpft werden können, wenn Konzerne ihre Marktmacht missbrauchen. Theoretisch geht das schon heute, allerdings sind die Hürden in der Praxis hoch, da zunächst ein Nachweis erbracht werden müsste, dass die Übergewinne auf Kartellbildung zurückgehen.
Laut Wirtschaftsministerium geht es nun darum, das Kartellrecht so zu ändern, dass bereits eine Feststellung, nach der ein Markt wie ein Kartell funktioniert als Grundlage reicht, entsprechende Schritte einzuleiten. Ermöglicht werden soll »als letztes Mittel« auch eine Entflechtung der Konzerne. »Politik ist nicht so wehrlos, wie man manchmal denkt«, so Habeck. Allerdings schränkte eine Sprecherin des Ministeriums ein, es gehe nicht darum, nun kurzfristig agieren zu können. Doch die Ankündigung könne ein Signal sein, das in den Markt hineinragt.
Der Ansatz gewährt den Konzernen lange Übergangsfristen, bis es ernst werden könnte. Denn eine solche Gesetzesnovelle will erst einmal formuliert, ausgehandelt und durchs Verfahren gebracht werden. Reichlich Gelegenheit für FDP, Opposition und Lobbyisten, aufweichenden Einfluss zu nehmen und Hintertüren einzubauen. Der Handelsverband Deutschland hat bereits den Ton gesetzt: »Wir halten die Einführung missbrauchsunabhängiger Entflechtungsmöglichkeiten und kartellrechtlicher Gewinnabschöpfungsansprüche ohne Nachweis des Verschuldens für einen Irrweg«, so Hauptgeschäftsführer Stefan Genth gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag).
Weiter bemängelte Genth, ein »Blankoscheck für das Bundeskartellamt würde willkürliche und politisch motivierte Entscheidungen begünstigen.« Er empfehle daher »dringend«, das Vorhaben nicht weiter zu verfolgen. Schließlich sei die »Tätigkeit der Unternehmen im Wettbewerb« ja gerade »darauf gerichtet, eine marktstarke Stellung zu erlangen«. Wenn eine aus eigener Kraft erreichte und nicht missbrauchte Marktmacht vom Gesetzgeber per se unter Generalverdacht gestellt würde, könne dies das Engagement der Konzerne dämpfen.
Zustimmung zu Habecks Vorstoß kam am Montag auch aus der SPD. Es sei klar, dass die Mineralölkonzerne gerade »in die eigene Tasche wirtschaften«, beklagte etwa Parteichef Lars Klingbeil. Dem müsse über das Kartellrecht ein Riegel vorgeschoben werden. »Und das wird jetzt hoffentlich schnell passieren.«
Als »wichtige Initiative« bezeichnete der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die Pläne. Das Problem mit den Mineralölkonzernen sei nicht, dass diese per se Gewinne erzielten, »sondern dass sie ihre Marktmacht zu Lasten der Konsumenten missbrauchen«, zitierte die Augsburger Allgemeine den Wirtschaftswissenschaftler am Montag.
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