Krisenhafte Entlastung
Von Oliver Rast
Beinahe alles verteuert sich, im Wochentakt. Die Folge: Der soziale Abstieg vollzieht sich rasant, die Armutsspirale dreht sich schneller. Und die Gegenmittel? Schwierig. Vor »überzogenen Erwartungen an die Tarifpolitik« bei der Inflationsbekämpfung warnte der Direktor des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituts IMK, Sebastian Dullien, am Pfingstwochenende. »Wir werden in diesem Jahr eine Inflation von durchschnittlich knapp sieben Prozent haben«, prognostizierte Dullien gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Gesamtwirtschaftlich könne die Tarifpolitik die Teuerungswelle nicht kompensieren. Deshalb brauche es weitere staatliche Entlastungspakete, um die Kaufkraft der Verbraucher zu stabilisieren. Die Tarifpolitik müsste in der Folge diese Kaufkraftverluste wieder zurückholen, »gegebenenfalls in mehreren Schritten«, so der IMK-Chef weiter.
Die Ampelkoalition steht unter Druck. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zufolge wolle das Bundeskabinett noch vor der parlamentarischen Sommerpause über zusätzliche Entlastungen entscheiden – über jene hinaus, die bereits beschlossen wurden. Ein juristisches Nachspiel droht gleichfalls. Gegen einen Punkt im schon verabschiedeten Entlastungspaket will der Sozialverband VdK gerichtlich vorgehen. Es geht um die Energiepauschale von 300 Euro. Die VdK-Vorsitzende Verena Bentele sagte gegenüber Bild am Sonntag: »Arme Rentner, aber auch pflegende Angehörige, Menschen, die Kranken- oder Elterngeld bekommen, gehen leer aus.« Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Ferner diskutieren Bundespolitiker, SPD-Chef Lars Klingbeil etwa, eine Übergewinnsteuer für Krisen- und Kriegsgewinnler, um besonders hohe Profite abzuschöpfen. Das sieht Taylan Kurt auch so: »Während Millionen von Menschen in Deutschland explodierende Preise im Portemonnaie merken und den Einkauf rationieren, verdienen gleichzeitig Mineralölkonzerne Milliarden extra«, beklagte der Grünen-Sprecher für Soziales und Armutsbekämpfung im Berliner Abgeordnetenhaus am Montag im jW-Gespräch. Statt eines Tankrabatts sei eine Übergewinnsteuer nötig, »um die Konzerne an den Kosten der Entlastungspakete zu beteiligen«. Dies sei nicht nur vernünftig, sondern haushaltspolitisch geboten, betonte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, am Wochenende auf RND-Nachfrage.
Drei Wochen kostenlos lesen
Die Tageszeitung junge Welt stört die Herrschenden bei der Verbreitung ihrer Propaganda. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Überprüfen Sie es jetzt und testen die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
Ähnliche:
- picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand/dpa01.12.2021
Erhöhungskürzung
- Stefan Thiel11.04.2018
Die Lücke schließen
Mehr aus: Inland
-
Böen von rechts
vom 07.06.2022 -
Floskeln und kaum Fortschritt
vom 07.06.2022 -
»Hire and Fire«-Gesetz in die Tonne
vom 07.06.2022 -
Göttliche Sonderrolle
vom 07.06.2022 -
Ein Prosit auf Glyphosat
vom 07.06.2022