Bettenabbau von oben
Von Dino Kosjak
Wie der Krankenhausplan NRW in den nächsten Monaten umsetzbar sei, fasste ein Schreiben des NRW-Gesundheitsministeriums im März zusammen. Am Dienstag stellte die Rosa-Luxemburg-Stiftung auf einer Pressekonferenz zwei von ihr in Auftrag gegebene Publikationen vor, die entschieden bestreiten, dass das Gesundheitsministerium dem eigenen Anspruch auf Qualität, Sorgfalt und Regionalität gerecht wird.
Laut des Papiers des Ministeriums sind in den 16 Planungsbezirken »regionale Planungsverfahren« durchzuführen, um entscheiden zu können, welche medizinischen Dienstleistungen künftig von welchen Krankenhäusern erbracht werden. Zunächst hätten Krankenhäuser und Krankenkassen Daten zu erheben, etwa zu Personal und Ausstattung. Unabdingbar, betont das Schreiben, sei hierbei eine »sorgfältige regionale Analyse der stationären Versorgung«. Welches Haus welchen Versorgungsauftrag bekommt, entscheidet letztlich das Land per Feststellungsbescheid. Hintergrund ist eine Abkehr in der Krankenhausplanung vom bisherigen Planungskriterium der Bettenzahl hin zum Kriterium der Fallzahlen: Um den Auftrag für eine bestimmte Leistung zu erhalten, muss ein Krankenhaus eine jährliche Mindestzahl dieser Leistung nachweisen. Über zwei Jahre Vorbereitung sind den Planungsverfahren vorausgegangen; den Anfang machte ein Gutachten der »schwarz-gelben« Landesregierung zur Versorgungsqualität und -dichte der nordrhein-westfälischen Krankenhauslandschaft.
In NRW gebe es ein gutes und dichtes Netz aus Krankenhäusern, hielt Achim Teusch fest, Arzt und bis zur Rente Betriebsratsvorsitzender in einem nordrhein-westfälischen Krankenhaus, der die Broschüre »Kein Bett zu viel« verfasst hat. Das NRW-Gutachten suggeriere, dass kleinere Krankenhäuser größeren unterlegen und vielfach verzichtbar seien. Das habe wenig zu tun mit der Realität in Nordrhein-Westfalen, so Teusch. Zahlreichen kleineren und mittleren Häusern mit 150 bis 600 Betten sei es im Zuge der Ökonomisierung des Krankenhauswesens nur gelungen zu überleben, weil sie sich in gewinnbringenden Geschäftsfeldern spezialisiert hätten. In diesen Feldern konkurrierten sie auf Augenhöhe mit den großen »Maximalversorgern«, denen das Gutachten den Vorzug gebe. Es sei beispielsweise egal, wo man im Raum Köln-Bonn als Infarktpatient eingeliefert werde; ob ins Uniklinikum oder in eines der regionalen Herzzentren, es gebe kein qualitatives Gefälle. Entsprechend finde ein Großteil anspruchsvollster Leistungen, von der Krebsbehandlung bis zur Schlaganfallversorgung, in »leistungsfähigen Zentren« mittelgroßer Häuser statt. Wer dieses »Leistungsmosaik« analysieren wolle, dürfe dies nicht mit einem Gutachten »von oben« und mit amtlichem Feststellungsbescheid machen, sondern müsse alle Beteiligten einbeziehen, gerade die Beschäftigten.
Ein grundlegendes demokratisches Defizit bei der Krankenhausplanung stellte auch Thomas Böhm fest, Arzt und für die Gewerkschaft Verdi im Landeskrankenhausausschuss in Baden-Württemberg. Seine Studie »Krankenhausplanung in Deutschland«, begonnen noch vor den »Reformplänen« in NRW, hält fest, dass es auf Bundesebene mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 Ansätze einer bedarfsgerechten Planung der Gesundheitsversorgung gegeben habe, die aber nach und nach einer ökonomisch motivierten Politik des Bettenabbaus gewichen sei. Die Planung sei weitgehend den Kassenverbänden und den Krankenhausträgern überlassen worden, während weder Parlamente noch Bürger, Patienten oder Beschäftigte ernsthaft eingebunden wurden.
Böhm räumte ein, auch der Krankenhausplan NRW zeige Ansätze, eine bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, indem Versorgungsaufträge strenger durch medizinische Kriterien definiert würden. Das wiege aber weder die demokratischen Defizite auf noch den geplanten Bettenabbau: Im Zuge der Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft sollen in NRW rund 20 Prozent der Krankenhausbetten verschwinden. Die anstelle dessen notwendigen ambulant-stationären Strukturen seien nicht im Ansatz vorhanden, waren sich beide Experten einig.
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