Die Internationale der Großmütter
Von Pierre Deason-Tomory
Sonntag, 27. März
Joseph Biden hat heute in Polen versehentlich zu Putins Beseitigung aufgerufen (»cannot remain in power«). Moskau: sauer. Macron: verstört. Bidens Sprecher: War nicht so gemeint, er habe wohl kurz den Redetext verlassen. Für seinen Sprechdurchfall ist der verkalkte US-Präsident seit Jahrzehnten berüchtigt, aber es war das Mal, dass er beim Filibustern einen Atomkrieg riskiert. Sein wächsernes Gesicht, das er aufsetzt, wenn er seine Vorlesungen herauspresst, mit viel Druck, damit er die Worte nicht verschluckt, erinnert an den späten Boris Jelzin. Das wirft die Frage auf, wer nach Bidens endgültiger Umnachtung der nächste Leader der taumelnden Nation unter Gott wird. Oje.
Die SPD hat sich bei der Wahl an der Saar die absolute Mehrheit geholt, und für Die Linke gab es die nächste Klatsche. Keine Überraschung. Die Welt brennt wie 1914 an allen Ecken und Enden, und die Linkspartei will nicht mehr links sein. Also wird sie gar nicht mehr sein.
Dienstag, 29. März
In Istanbul wird tatsächlich verhandelt, erstmals lassen Äußerungen beider Seiten Kompromisslinien erahnen. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass Putin plötzlich vernünftig wird oder dass die Regierung in Kiew zu Hause Kompromisse wie Land gegen Frieden durchsetzen kann, es wäre ein Wunder. Wenn nur endlich die Waffen schweigen würden.
In Deutschland bleibt die Situation in den Krankenhäusern kritisch, und trotzdem lassen sie die Pandemieregeln am Wochenende fast überall auslaufen. Die bunte Regierung reagiert auf unerwartete Ereignisse so schnell wie eine Verkehrsampel. Anders Mecklenburg-Vorpommern, das ganze Land hat sich zu einem Hotspot erklärt. Kommt ins Guinnessbuch der Rekorde. Es ist das erste Mal seit dem Dreißigjährigen Krieg, dass die Gegend ein Hotspot ist.
Donnerstag, 31. März
Vorhin die vierte Impfung abgeholt, seitdem schmerzt der rechte Oberarm. Das ist nicht schlimm, nur merkwürdig: Gestochen hat mich die Lady links.
Freitag, 1. April
Irgend jemand hat am Sowjetischen Ehrenmal am Brandenburger Tor Weltkriegspanzer mit ukrainischen Fahnen verhüllt. Mit dieser, sagen wir, geschichtsvergessenen Aktion haben sie die blinden Flecken der ukrainischen Nationenwerdung sichtbar gemacht, die sich in den Denkmälern für Bandera manifestieren. Außerdem. Man kann nur ohne bunte Fahnen ernsthaft Widerstand demonstrieren gegen Krieg und Rüstung. Die Friedenstaube ist weiß, sie trägt keine Nationalfarben.
Als ich noch Stadtrat in Weimar war, konnte ich zweimal mit Hilfe des damaligen Oberbürgermeisters die Ausländerbehörde daran hindern, ein ukrainisches Paar abzuschieben. Vor ein paar Jahren luden mich die beiden nach Hause ein. Es gab leckere kleine Speisen und Schnaps, den mir der Mann einschenkte. Das Bier ließen wir weg, damit es uns nicht gleich umhaute. Seine Liebste und drei andere Frauen, eine Polin und zwei Russinnen, tranken Sekt und Wein, erzählten sich Familiengeschichten und stellten dabei fest, dass sie alle ukrainische, polnische, russische und jüdische Großmütter haben. Ja.
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