Faustschläge und Tritte
Von Susan Bonath
Menschenunwürdige Zustände, gewalttätige Wachleute: Vor dem Amtsgericht Halberstadt in Sachsen-Anhalt mussten sich am Montag drei ehemalige Wachschutzmitarbeiter bei der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) für Geflüchtete wegen des Tatvorwurfs der schweren Körperverletzung verantworten. Im April 2019 hatten die 33-, 44- und 52jährigen zwei Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung mit Tritten und Faustschlägen misshandelt. Angeblich sei einer der Angegriffenen alkoholisiert gewesen und habe sich an der Einlasskontrolle geweigert, sich auszuweisen. Weil ein Betroffener, der als Zeuge geladen war, nicht erschienen war, vertagte das Gericht die Plädoyers und die Verkündung des Urteils auf den 4. Februar.
Der Übergriff war erst Monate später bekanntgeworden. Im August 2019 tauchte ein Handyvideo auf Youtube auf, welches das Geschehen dokumentierte. Darauf zu sehen war, wie Wachleute zwei Asylsuchende auf dem Gelände angreifen. Ein Faustschlag und Tritte sind zu sehen. Als ein Geflüchteter zu Boden geht, lassen sie nicht von ihm ab, schütteln und treten ihn in den Bauch und gegen den Kopf. Schließlich schubsen die Wachmänner die Betroffenen gewaltsam in Richtung des Gebäudes, verschwinden hinter einer Hauswand. Weitere Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes City Schutz GmbH, der die Einrichtung seit 2017 bewachte, sahen dem Angriff zu, ohne etwas dagegen zu unternehmen.
Lokale und überregionale Medien griffen das Thema danach auf. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt begann zu ermitteln. Die Polizisten befanden die Filmaufnahmen für echt. Und der damalige Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), sprach gegenüber der Presse von einer »erheblichen strafrechtlichen Relevanz«. Die Wachfirma suspendierte vier beteiligte Mitarbeiter vom Dienst und entließ sie später. Gegenüber T-online.de erklärte deren damaliger Prokurist Lars Knopke, die Beschäftigten hätten nicht nur durch den Angriff, sondern auch durch »untätiges Herumstehen und das Nichtmelden an den Arbeitgeber eine rote Linie überschritten«. Die Schläger hatten die behandlungsbedürftigen Verletzungen eines Betroffenen einem »alkoholbedingten Sturz« zugeschrieben.
Der Standortleiter der ZASt, Eckhardt Stein, sagte laut Deutscher Presseagentur am Montag im Zeugenstand, er halte für »nicht tolerierbar«, was auf dem Video zu sehen ist. Die Angeklagten wiesen demnach allerdings den Vorwurf der Misshandlung zurück. Man habe die Situation nur so in den Griff bekommen können, beteuerte einer von ihnen. Ein weiterer erklärte, der Bewohner habe ein Alkoholproblem gehabt und sei bei seiner Rückkehr am Tattag aggressiv gewesen. Durch eine Armbewegung des Geflüchteten habe er sich bedroht gefühlt. Das Handyvideo belegt seine Version jedoch nicht.
Offenbar war dies nicht der erste und letzte Übergriff durch Wachpersonal auf Bewohner der Halberstädter Sammelunterkunft gewesen. Exinnenminister Stahlknecht räumte im Sommer 2019 ein, dass es seit längerem Hinweise auf weitere, ähnliche Vorfälle gebe. Im Frühjahr 2020, kurz nach Beginn der Coronapandemie, hatten Geflüchtete mit einem Hungerstreik gegen unwürdige Zustände und übergriffiges Wachpersonal protestiert. Unter anderem hätten Bedienstete eine schwangere Frau aus dem Iran geschlagen. Sie habe daraufhin im Krankenhaus versorgt werden müssen.
In einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) hatte der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt im April gravierende Mängel bei der Grundversorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln angeprangert. Damals stand das Lager wegen mehrerer positiv auf das neue Coronavirus Getesteter unter Dauerquarantäne mit zusätzlichen strengen internen Kontaktbeschränkungen, die sich letztlich über mehr als sechs Wochen hinzog. Die Polizei sprach zudem von mehreren Strafanzeigen sowohl von Bewohnern als auch von Wachmännern, unter anderem wegen Körperverletzung. Im August 2020 informierte das Innenministerium, dass die Polizei inzwischen gegen weitere Beschäftigte der Securityfirma ermittele. Sie sollen zum Beispiel einen Geflüchteten stundenlang in einen Raum gesperrt und bedroht, einen weiteren verletzt haben.
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