Libanon am Boden
Von Karin Leukefeld, Beirut
Nach mehr als einem Jahr Wirtschafts- und Finanzkrise und angesichts der steigenden Zahl der Coronavirusinfektionen geht der Libanon allmählich in die Knie. Das Gesundheitsministerium meldete am Mittwoch 4.988 Neuinfektionen innerhalb eines Tages. Auch Gesundheitsminister Hamad Hasan musste in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Mittlerweile wurden auch die Virusmutationen aus England und Südafrika nachgewiesen. Die Gesamtzahl der seit Mai 2020 positiv auf das Virus getesteten Personen im Libanon liegt damit bei 231.936. 1.740 Menschen starben in diesem Zusammenhang.
Am Montag ordnete der Oberste Sicherheitsrat des Landes einen zunächst auf elf Tage befristeten Ausnahmezustand an, der am gestrigen Donnerstag in Kraft trat. Dazu gehört eine 24stündige Ausgangssperre, die von Polizei und Militär überwacht wird. Wer dennoch aus dem Haus will oder muss, muss per Handy unter Angabe von Gründen eine Sondergenehmigung für einen einstündigen Ausgang beantragen. Ausgenommen von den rigorosen Einschränkungen ist das Personal von Ministerien, Armee und Polizei, von Krankenhäusern, Feuerwehr und Zivilschutz, Flughafen- und Hafenbehörde sowie Diplomaten und die Mitarbeiter der UNO. Auch Journalisten sollen ihrer Arbeit nachgehen können.
Schulen, Kindergärten, Universitäten, Geschäfte und Büros, Restaurants und Cafés bleiben geschlossen. Lebensmittelgeschäfte dürfen nur ausliefern, Bäckereien und Apotheken bleiben geöffnet. Zwei Grenzübergänge nach Syrien werden bis auf weiteres nur zweimal die Woche für 150 bzw. 100 Einreisende aus Syrien geöffnet. Wer aus dem Libanon in das Nachbarland reisen will, benötigt neben einem negativen PCR-Test eine Genehmigung des syrischen Innenministeriums.
Der internationale Flughafen von Beirut hat den Flugverkehr auf 20 Prozent gegenüber dem Aufkommen im Januar 2020 heruntergefahren. Einreisende müssen sich – zusätzlich zu dem negativen PCR-Test, den sie benötigen, um in ein Flugzeug steigen zu können – unmittelbar nach Einreise am Flughafen Beirut erneut einem Test unterziehen. Im Anschluss müssen sie sich bis zu zehn Tage lang auf eigene Kosten in ein von den Behörden freigegebenes Hotel in Quarantäne begeben.
Für die Bevölkerung bedeuten die Maßnahmen zusätzlich zu der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise eine enorme Belastung. Viele Libanesen und auch die im Land lebenden palästinensischen und syrischen Flüchtlinge verdingen sich als Tagelöhner. Wenn sie nicht arbeiten können, haben sie auch nichts zu essen. Die Weltbank hat derweil ein Hilfsprogramm in Höhe von 246 Millionen US-Dollar für Familien im Libanon freigegeben, das 147.000 Haushalten mit geringem Einkommen ein Jahr lang finanzielle Unterstützung garantieren soll.
Die Regierung hat unterdessen die Einfuhr von zwei Millionen Impfdosen der Hersteller Biontech und Pfizer ab Februar angekündigt. Genehmigungen für Angebote aus China wurden bisher nicht erteilt. Der öffentliche Gesundheitssektor im Libanon ist seit Jahren unterfinanziert, mehr als 400 Ärzte haben das Land im vergangenen Jahr verlassen. Eine Behandlung in privaten Kliniken kann der Großteil der Bevölkerung nicht bezahlen.
Die Libanesische Kommunistische Partei betonte in einer Erklärung vom Dienstag den Ernst der Lage und kritisierte die langjährige Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitssektors. Regierung und Behörden hätten versagt und weder die Gesundheit der Bevölkerung noch deren Versorgung sichergestellt. Erforderlich sei, dass der Impfstoff für die gesamte Bevölkerung frei und kostenlos zugänglich werde. Dazu gehöre, dass der Libanon nicht nur eine Sorte Impfstoff, sondern alle verfügbaren Vakzine zügig importiere. Dass das bisher nicht geschehen sei, komme einem »Verbrechen am libanesischen Volk« gleich und habe unnötig Hunderte Menschen das Leben gekostet.
Neben der finanziellen Unterstützung von Familien fordert die Kommunistische Partei eine kostenlose und umfassende medizinische Versorgung der Bevölkerung. Dafür müsse der öffentliche Gesundheitssektor besser finanziert und ausgeweitet werden. Eine Übergangsregierung jenseits des bestehenden Systems müsse eingesetzt und mit Sonderrechten versehen werden, um die Krise zu bewältigen, heißt es in der Erklärung. Leben sei »wichtiger als Profit, und die Interessen der Gesellschaft müssen über den Interessen des Kapitals stehen«.
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