Wie es pulsiert
Von Harald Justin
Schlagen wir den ganz großen Bogen. Etwa von heute zurück in das Deutschland des 19. Jahrhunderts, als sich in den Fabriken Wuppertals das Proletariat bildete. Friedrich Engels, dortiger Fabrikantensohn, kritisierte die Ausbeutung, aber auch diejenigen, die zwar den Mehrwert erschufteten, aber in ihrer Kulturlosigkeit nur Branntwein und zotige Gesänge kannten.
Nun rüber, ins Südafrika der Apartheid, mitten hinein ins 20. Jahrhundert, nach Johannesburg, wo in den Townships von Soweto eine Million Afrikaner aus ganz Afrika zusammengepfercht waren, um in den Minen für die weißen Herren zu schuften. Hier entstand das erste urbane Proletariat Afrikas. Zotige Gesänge und Branntweinleichen wird es auch gegeben haben. Zugleich aber entstand eine neue urbane Musikkultur, gespeist aus der Vielfalt der ländlichen Musiken, die die Arbeiter aus ihren Heimatländern mitbrachten und untereinander austauschten und unter dem Einfluss internationaler Musik, sei es Jazz, Blues, Soul, Rock, Pop, Reggae oder HipHop, zu einer ganz eigenen Musik weiterentwickelten.
Womit wir bei dem südafrikanischen Quartett Urban Village wären. Drei Mitglieder haben die Apartheid noch miterlebt, alle vier zehren von der lebendigen Vielfalt der in Soweto pulsierenden Musik. Als Jugendliche haben sie House- und Dance-Music gehört, aber auch die Maskandi-Musik alter Zulu-Musiker. Hörbar ist Jazz bei den Bläsern, Dancehall Music ist ebenso präsent wie der alte Löwe Wimoweh (»The Lion Sleeps Tonight«), Spoken Word, Poppiges und Afrikanisch-Folkiges im südafrikanischen Marabi-Stil und viele Afrikanismen sowohl in der Stimmführung, der Sprache sowieso und der Instrumentalisierung. Eine aufregende Mischung.
Zudem versteht diese Musik sich als Vermittlerin von spirituell-politischem Widerstand. Ein Song plädiert für den Stolz auf die schwarze Hautfarbe, ein anderer fordert zur Lapsteel-Gitarre zu mehr Toleranz auf, gepriesen wird der Aufstand der Jugend in Soweto 1976, und es gibt Absagen an rassistische Angriffe, gespielt mit großer Leichtigkeit, mit Marimba, Keyboards und Bläsern. Schließen wir den Kreis: In Soweto steppt der Bär. In Wuppertal herrscht musikalische Ödnis.
Urban Village: »Udondolo« (No Format/Idol/Indigo)
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