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Aus: Ausgabe vom 27.09.2016, Seite 10 / Feuilleton

Traum des Modellbauers

Thomas Schmitz-Bender brachte nicht nur Brecht auf die Straße. Am Donnerstag wird er in Berlin beigesetzt
Von Michael Lichtwarck-Aschoff
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Im Alten das Neue sichtbar gemacht: Thomas Schmitz-Bender (r.) mit Mitgliedern des Brecht-Jugendtheaters Bremen

Immer sterben die Nützlichen zu früh. Die Verursacher des Elends haben das ewige Leben. Thomas Schmitz-Bender, geboren am 21. Januar 1943 in Zittau, gestorben in der Mitte des Sommers 2016, war auf eine Weise nützlich, die Spuren hinterlässt auf unseren Straßen, in unserem Gewissen, in unserer Zuversicht.

Als in den 60er Jahren vieles in Bewegung kam, hat er geholfen, dem Aufbruch Richtung zu geben. Er gehörten zu den Gründern des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), ohne ihn gäbe es keinen »Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD«. Als dann die Himmel bleiern wurden, hat er uns gezwungen nachzudenken. Das tat er auf vielerlei Art. Keiner der dabei war, es gesehen oder auch nur davon gehört hat, wird es vergessen. Eines seiner wirkmächtigsten Mittel war die »unliterarische Verwendung von Literatur«, wie er es nannte. Er hat Brecht dort hingebracht, wo er hingehört – auf die Straße. Der »Herrnburger Bericht«, die »Legende vom toten Soldaten«, der »Anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy« – wieder und wieder hat er Brecht (aber nicht nur den) inszeniert, hat Menschen zusammengebracht, organisiert und begeistert, ihnen Fahnen in die Hand gegeben, sie auf Lastwagen, Panzer, Krokodile und Raketen gesetzt, um zu warnen, zu zeigen, was möglich ist und was unmöglich. Seine Vorschläge wurden angenommen. Wer dabei war, der war hinterher nicht mehr genau derselbe. Thomas Schmitz-Bender hatte ihn angesteckt, mit seinem Witz und seinem Ernst und seiner unbändigen Hoffnung.

Einer der wichtigsten Sätze Brechts war für ihn dieser aus der »Antigone«: »Besser zwischen den Trümmern der eigenen Stadt / Säßen wir doch und sicherer auch als mit dir / In den Häusern des Feindes«. Wenn man mit Schmitz-Bender zurückkam von den Straßen und Plätzen dieses Landes, hat man besser verstanden, was ihm daran wichtig war.

In einer anderen, aber ähnlichen Weise wie Brecht war Schmitz-Bender ein »Modellbauer«. Seine Inszenierungen begannen mit Zeichnungen, Fotografien, kleinen Modellen von Lkws, Panzern oder Raketen. Er bewies, dass diese Modelle sich gerade so bewegten, wie er es wollte. Diese Modelle nahmen immer ein Stück Wirklichkeit, ein Stück Zukunft, ein Stück Machbarkeit vorweg. Wenn man ihm sagte, der Panzer sei zu schwer oder nicht zu beschaffen, die Figur der Frau Merkel zu leicht, um auf der Rakete zu sitzen, oder der tote Soldat bekomme keine Luft mit der Schaufel Erde auf dem Gesicht, dann antwortete er unerschütterlich freundlich (er war überhaupt einer der freundlichsten und zugleich einer der unnachgiebigsten Menschen, die ich kannte): Ja, freilich ist es schwierig, und ja, ich weiß, das hier ist nur ein Modell. Aber dafür ist ein Modell ja da – um zu beweisen, dass es funktioniert. Es soll nicht die ganze Welt beweisen, es reicht schon, wenn es den nächsten Schritt beweist, den wir tun können, weil wir ihn tun müssen.

Ein gutes Modell, vereinfacht die Welt und erklärt sie. Es verändert sie noch nicht. Die andere Seite Schmitz-Benders war der Träumer, der Künstler der Straße und des Protests. Er hat im Alten das Neue gesehen, und was noch wichtiger ist, es sichtbar gemacht. Die Befreiung, der Kampf gegen Faschismus und Krieg ist auch Kunst, hat er gezeigt. Es geht da auch um Phantasie. Das muss uns berühren und bewegen, uns mitreißen, zwingen mitzumachen.

Wir müssen die Veränderbarkeit der Welt wahrnehmen, anfassen, spüren, erfahren können. Das Wort »Er-Fahrung« hatte für Thomas Schmitz-Bender immer einen sehr buchstäblichen Sinn. Wenn Traum und Modell sich plötzlich gemeinsam auf der Straße fahrend wiederfinden, stellen wir fest: Es gibt mehr als nur uns, die die Welt verändern wollen.

Am Donnerstag wird Thomas Schmitz-Bender auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt. Bald ist wieder Oktober, und neue Oktober werden kommen. Und die Verursacher des Elends haben nicht das ewige Leben.

Einmal habe ich mit Schmitz-Bender über ein Lorca-Gedicht diskutiert. Ihm war es »zu privat«, und er wollte es nur gelten lassen, wenn an der richtigen Stelle ein Ausrufezeichen stünde. So ungefähr:

Wenn ich dann sterbe,
begrabt mich zwischen

Minze und Orangenbaum

legt die Gitarre neben mich

gebt Sand darauf.

Tut mich in eine kleine Fahne

ganz aus Wind gemacht.

Wenn! ich denn sterbe.

Also gut, Thomas, da hast Du Dein Ausrufezeichen. Sollen die Verursacher des Elends schlecht schlafen. Und möge die Erde Dir leicht werden.

Beisetzung am Donnerstag, 29. September, 13 Uhr, Dorotheenstädtischer Friedhof Berlin

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