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Aus: Ausgabe vom 03.12.2015, Seite 8 / Inland

»Es gibt Verzögerungen und Stress mit dem BAföG-Amt«

Studierende im pfälzischen Landau protestieren gegen miese Bedingungen. Starke Beteiligung an Streik. Gespräch mit Marleen Gruber
Von Interview: Ralf Wurzbacher
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»Wir erleben eine Hochschulleitung, die die Probleme viel zu lange ignoriert hat, und ein Bildungsministerium, das nicht einmal anerkennt, dass es eine Notlage gibt.« – Marleen Gruber, Vorsitzende des AStAder Universität Koblenz-Landau, Standort Landau

An der Universität im südpfälzischen Landau gibt es seit Anfang vergangener Woche Proteste wegen der, wie es heißt, »miserablen« Studienbedingungen. Los ging es mit der Besetzung von Gebäuden, dann folgte am Donnerstag ein eintägiger »Generalstreik«. Was läuft in dieser Woche?

Es geht erst einmal ruhiger zu. Wir arbeiten an weiteren Streikaktionen, an einem Programm für das besetzte Audimax und an diversen Veranstaltungen rund um das Thema Bildung. Außerdem fahren wir nach Mainz, um vor dem Bildungsministerium zu demonstrieren.

Wann wird das sein?

Am 16. Dezember wird im Landtag der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr beraten. An diesem Tag wollen wir vor Ort eine Kundgebung abhalten, zu der wir im ganzen Land mobilisieren. Unser Ziel ist es, lautstark für eine bessere Ausfinanzierung der Hochschulen zu demonstrieren.

Die Aktionen der vergangenen Woche haben bundesweit Aufmerksamkeit erregt, vor allem in den sozialen Netzwerken, aber auch die überregionale Presse hat berichtet. Wie groß war die Streikbeteiligung?

Absolut überwältigend. Schon am Montag waren mehr als 400 Studierende auf die entscheidende Vollversammlung gekommen. Am Donnerstag, dem bisherigen Höhepunkt des Streiks, als die komplette Uni blockiert wurde, waren etwa 1.500 Studierende auf der Straße, an den Außenstellen und auf dem Campus. Die Plenumssitzungen an den Abenden konnte selbst das Audimax kaum fassen. Zusammen mit den Leuten, die unserem Plenum am Donnerstag im Livestream folgten, nahmen über 3.000 Menschen an der Versammlung teil. In dieser Woche ist die Beteiligung zwar immer noch gut, aber nicht mehr so gewaltig, eben weil keine so großen Aktionen anstehen.

Was ist mit denen, die nicht mitprotestieren?

Selbst diejenigen, die nicht so stark von den schlechten Zuständen betroffen sind, spüren, dass viele ihrer Kommilitonen mit den Bedingungen schwer zu kämpfen haben. Das schweißt zusammen. Wirklich frustriert von den Protesten haben sich die allerwenigsten gezeigt.

Was war der Auslöser der Proteste?

Wir haben zuwenig Lehrpersonal, momentan kommen auf eine Lehrkraft 95 Studierende. Die Seminare sind oft unvorstellbar überfüllt, es kommt vor, dass Studierende von draußen am offenen Fenster Kurse verfolgen. Außerdem hat die Unibibliothek hoffnungslos veraltete Bestände. Der Auslöser für die Proteste war aber die Vollversammlung am Montag vor einer Woche, bei der der AStA eigentlich nur über die vielen Missstände informieren wollte. Dann wurde aber sehr schnell der Ruf nach Streik laut.

Welche Missstände beklagen Sie noch?

Es gibt kaum festangestellte Professoren. Daraus resultieren Verzögerungen im Studium und Stress mit dem BAföG-Amt. Wir erleben eine Hochschulleitung, die die Probleme viel zu lange ignoriert hat, und ein Bildungsministerium, das nicht einmal anerkennt, dass es eine Notlage gibt. Damit schlagen wir uns schon seit Jahren herum. Immer werden wir auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet, und irgendwann ist halt mal Schluss.

Wie hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verschärft?

Es kommen immer mehr Menschen zum Studieren nach Landau, was wir im AStA natürlich total begrüßen. Wer studieren möchte, soll das unbedingt tun dürfen. Trotz des Andrangs werden aber seit Jahren keine neuen Seminarräume zur Verfügung gestellt oder sonstige Verbesserungen bei der Ausstattung vorgenommen. In diesem Wintersemester kamen mit 1.350 Studienanfängern so viele wie noch nie. Die Uni war ursprünglich für etwa 3.000 Studierende konzipiert. Heute studieren hier 7.500 Menschen, aber die seit 1990 geschaffenen Außenstellen und Neubauten reichen hinten und vorne nicht, um den Bedarf zu decken.

Glauben Sie, Ihr Protest hat das Zeug zu mehr?

Auf alle Fälle haben wir in Rheinland-Pfalz etwas ins Rollen gebracht. Ob mehr daraus wird, müssen die nächsten Wochen zeigen. Es würde uns natürlich freuen, wenn unser Beispiel Nachahmer findet und daraus eine stärkere Bewegung wird. Das ist aber immer die Entscheidung der Studierenden vor Ort. Wir bleiben erstmal dabei, dass wir streiken.

Marleen Gruber ist Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) an der Universität Koblenz-Landau, Standort Landau

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