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Aus: Ausgabe vom 20.05.2014, Seite 3 / Schwerpunkt

Kiewer Treffen: »Verwöhnte Generation«

Als »Intellektuellenkongreß« hat die österreichische Nachrichtenagentur APA eine Zusammenkunft von rund 50 Wissenschaftlern und Propagandisten in Kiew bezeichnet. Die vom 15. bis 19. Mai dauernde Tagung »Thinking Together« widmete sich »den westlichen Sichtweisen auf die Ukraine-Krise«. Dazu war unter anderem der französische Kriegstreiber Bernard-Henri Lévy in die ukrainische Hauptstadt eingeflogen worden. Der machte in einem »bühnenreifen Auftritt« (Welt) in Rußlands Präsidenten Wladimir Putin einen »Gangster« aus, berichtete in der Welt Richard Herzinger: »Gewiß sei Putin nicht Hitler, schränkt Lévy ein, doch einen Faschisten, der im Habitus Mussolini ähnele, nennt er ihn doch.« Anfang März hatte Lévy die »Aufständischen in Kiew« bejubelt: »Volk des Maidan! Ihr habt mit einer großen Völkern würdigen Selbstbeherrschung der Tyrannei eine historische Niederlage bereitet. Ihr seid nicht nur Europäer, ihr seid die besten Europäer. Europäer seid ihr ohne Zweifel, weil ihr die Söhne Voltaires, Victor Hugos und Taras Schewtschenkos seid, aber auch, weil zum ersten Mal, hier auf dem Maidan, junge Menschen mit der Europafahne in den Händen gestorben sind.« In der Berliner Zeitung fragte Götz Aly kürzlich: »Umschließt Lévys aufgeblasenes, gewaltsüchtiges Geschwätz auch die nationalukrainischen Aktivisten, die vor ein paar Tagen das Gewerkschaftshaus in Odessa ansteckten und an die 50 Tote auf dem Gewissen haben?«

Odessa stand beim »Intellektuellentreffen« in Kiew nicht auf der Agenda. Es ging um Mobilmachung. Dem deutschen Historiker Karl Schlögel zufolge befindet man sich »in der Abwicklung eines ganzen mentalen Zustands, der eine friedensverwöhnte Generation ausgezeichnet habe« (APA). Intellektuelle in der westlichen Öffentlichkeit müßten einen »Kampf auf der Seite des Maidan und des ukrainischen Staates aufnehmen«.


Faschisten wurden in Kiew nicht ausgemacht. Springer-Autor Herzinger war begeistert: »Erlebt man jedoch das heutige Kiew mit seinem jugendlichen, kreativen Fluidum, erscheint die im Westen verbreitete Vorstellung absurd, dieses Land müsse noch eine Entscheidung zwischen europäischer Freiheit und russischer Autokratie treffen, oder es habe sich in einer Zwischenlage zwischen beiden zu positionieren. In Kiew fühlt man sich so sehr mitten in Europa wie derzeit vielleicht nirgendwo sonst auf dem Kontinent. Von irgendwelchen ›Faschisten‹, schon gar von paradierenden Horden des Rechten Sektors, ist im Straßenbild jedenfalls weit und breit nichts zu sehen. (…) Man fragt sich schon eher, warum Kiew nicht längst zum Kultort des hippen jungen Europa, ja, der ganzen westlichen Welt geworden ist.« (rg)

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