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Aus: Ausgabe vom 05.04.2008, Seite 16 / Aktion

In Stein gemeißelt

Selten wurde eine Blattlinie so schonungslos offen präsentiert. Deshalb kann man an der Berliner Zeitung exemplarisch studieren, wie der deutsche Medienmarkt funktioniert
Von Dietmar Koschmieder
Welche Blattlinie verfolgt Chefredakteur Depenbrock?
Welche Blattlinie verfolgt Chefredakteur Depenbrock?
Was erwarten Sie eigentlich von Ihrer Tageszeitung? Glaubensbekenntnisse? Die Bestätigung Ihrer Meinung? Ablenkung und Unterhaltung, Sexundpopundtrallala? Unabhängigkeit? Womöglich einfach guten Journalismus? Glaubwürdigkeit? Von allem ein wenig?

Von uns bekommen Sie Informa­tion, Analyse, Berichte und Hintergründe. In der Regel kennzeichnen wir Beiträge mit Autorennamen. Denn wir verschweigen nicht: Selbst sachliche und nüchterne Artikel werden von konkreten Journalisten gemacht, die Sichtweisen, Meinungen, Absichten und Beschränkungen unterliegen, die Einfluß auf die journalistische Arbeit haben. Und es gibt wie in jeder Zeitung eine Blattlinie, auch wenn sie nicht in jedem Beitrag erkennbar ist und es sogar Texte gibt, die ihr widersprechen. Unsere ist aufmerksam Lesenden bekannt.

Um zu wissen, wie eine Zeitung zu lesen ist, sollte sie ihre Blattlinie nicht verheimlichen oder verschleiern. Was ist die Taz? Eine alternative Tageszeitung? Alternativ wozu denn noch? Und wie sieht es mit dem Neuen Deutschland aus? Kein Zentralorgan? Also nur das Blatt einer Frak­tion in der Partei? Da ist die Berliner Zeitung seit einigen Monaten offener. Blattlinien werden vor allem über Personalentscheidungen manifestiert. Mit Josef Depenbrock an der Spitze hat David Montgomery, Chef der Mecom-Gruppe, eine hervorragende Wahl getroffen, um seine Blattlinie durchzuziehen. Denn Depenbrock ist nicht nur Geschäftsführer und Chefredakteur der Berliner Zeitung, Geschäftsführer und Herausgeber der Zeitschrift Azur – das Kreuzfahrtmagazin« und Großaktionär von Cash, er ist auch in der Geschäftsführung der Mecom-Deutschland-Tochter. Was das zu bedeuten hat? Im Februar hat Depenbrock seiner Belegschaft mitgeteilt, daß die neuen Renditevorgaben von Montgomery für die Berliner Zeitung im Jahr 2008 bei 18 bis 20 Prozent lägen. Gleichzeitig gilt ein Stellenstopp, wandern Journalisten ab. Das führte zu weiteren Protesten in der Belegschaft und zu einer Bekanntgabe am 29. März, also am letzten Samstag auf Seite eins: »Damit wir die hohen Ansprüche auch künftig erfüllen können, müssen wir den Abonnementpreis (...) zum April 2008 um 1 Euro anheben.« Wessen Ansprüche?


Das aber ist nur die eine Seite der Blattlinienkorrektur bei der Berliner Zeitung. Beiträge werden offensichtlich weniger nach journalistischer Qualität beurteilt, sondern mehr danach, ob und wem sie gefallen. Einer der selten gewordenen brillanten journalistischen Beiträge in der Zeitung war ein Porträt über den sogenannten Stasijäger Hubertus Knabe. Dem gefiel dieser Artikel überhaupt nicht. Plötzlich tauchen über dreißig Jahre alte Stasiakten über einen Redakteur der Berliner Zeitung auf, der redaktionell unter anderem für die Wochenendbeilagen zuständig ist. Depenbrock reagiert am Dienstag, den 1. April 2008, auf Seite drei: »Seit der Wende gilt nun, wie in Stein gemeißelt, die Regel des unabhängigen Journalismus. Die Redakteure des Blattes sollten nie mehr wirtschaftlichen und politischen Einflüssen unterliegen, sollten nur der Wahrhaftigkeit verpflichtet sein.« Will damit Depenbrock seine Redakteure von »wirtschaftlichen und politischen Einflüssen« der Montgomerys, Birhtlers und Knabes schützen?

Natürlich nicht. Wir kennen das Spiel: Kein Geld mehr in das Projekt stecken, dafür viel Geld herausholen, so sollte auch die junge Welt bis 1995 fertiggemacht werden. Wenn dann Geschäftsführer (und Chefredakteur) öffentlich hinausposaunen, daß die Redaktion ihres eigenen Blattes »an diesem Wochenende an ihrer Glaubwürdigkeit Schaden genommen« habe und die angegriffenen Mitarbeiter zum Abschuß frei gibt, kann man nicht mehr davon ausgehen, daß so jemand mit seiner (oder mit dieser) Redaktion eine journalistisch erfolgreiche Zeitung machen will.

Warum wir uns ausgerechnet an dieser Stelle so ausführlich auf dieses Thema einlassen? Was halten Sie eigentlich von der Idee, eine spannende Berliner Regionalausgabe der jungen Welt zu entwickeln? Die Gefahr, daß die junge Welt aufgekauft wird, weil jemand 20prozentige Rendite erwirtschaften will, besteht jedenfalls nicht. Und unsere Blattlinie ist transparent und trotz anderslautender Behauptungen über die Jahre konsequent durchgehalten worden. Die Nachfrage nach einer spannenden Zeitung, die auch im lokalen Bereich unabhängig ist, wird zwar nicht wachsen. Aber immer weniger bedient. Gäb’s da etwa was für uns zu tun?

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